Erhalten Getestete und Geimpfte bald Privilegien?

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«Freedom Pass»Erhalten Getestete und Geimpfte bald Privilegien?

Wer sich regelmässig testen lässt, soll in Grossbritannien wieder feiern und ohne Maske einkaufen oder Zug fahren dürfen. Der «Freiheitspass» und Immunitätsausweise werden auch in der Schweiz diskutiert.

Darum gehts

  • Schnelltests und Impfung entfachen die Debatte um Gesundheitsausweise neu.

  • Solche Ausweise sollen Gesunde von den Corona-Einschränkungen befreien.

  • Für das BAG kommt die Diskussion zu früh.

Der britische Premierminister Boris Johnson plant gemäss einem Bericht der Zeitung «The Telegraph» die Einführung eines «Freedom Pass». Wer sich zweimal pro Woche testen lässt, soll von den Corona-Einschränkungen ausgenommen werden. Wer die Bescheinigung vorweisen kann, Covid-frei zu sein, könnte also wieder ohne Maske ins Stadion, in den Club oder den ÖV. Gleichzeitig soll das Impfprogramm anrollen.

Der Basler Epidemiologieprofessor Heiner Bucher sagt, die Idee sei verlockend: «Beim Reisen braucht es ja bereits an vielen Orten einen aktuellen PCR-Test.» Ein Zutritt nur mit «Freedom Pass» nach britischem Vorbild sei auch in anderen Bereichen denkbar. Es stelle sich aber die Frage, wer das elektronische Zertifikat überprüfen würde. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem Stadion alle ohne Ausweis die Maske anlassen müssen, während sie jene mit Ausweis ausziehen dürfen.» Auch bei der praktischen Umsetzung sieht Bucher einige Stolpersteine: «Es kann auch falsche negative Tests geben. Darum wird es keine hundertprozentige Sicherheit geben.»

Ruf nach Immunitätsausweis

Neben dem «Freiheitspass» wird auch immer intensiver über die Lancierung von Immunitätsausweisen diskutiert, die Immunen die normalen Freiheiten zurückgeben. «Immunitätszertifikate brauchen wir immer dringender», schreibt etwa Wirtschaftswissenschaftler Reiner Eichenberger in der «Finanz und Wirtschaft» vom Montag.

Auch CVP-Nationalrätin Ruth Humbel schlägt vor, bei Grossanlässen wie Fussballspielen nur Personen Zutritt zu gewähren, die immun gegen das Coronavirus sind. Bedingung sei, dass eine wirksame Impfung verfügbar sei. Geimpfte sollten laut Humbel dann auch beim Reisen oder beim Zutritt zu Clubs mehr Freiheiten haben. Gemäss TeleZüri prüft sie einen entsprechenden Vorstoss im Parlament. International zeigt die Airline Qantas, was von Impfskeptikern befürchtet wird: Sie will nur noch geimpfte Passagiere transportieren.

Immunitätsausweise kommen in der Bevölkerung insgesamt aber gut an, wie eine in der Zeitschrift «Swiss Medical Weekly» erschienene Studie des Unispitals Genfs zeigt. So waren 60 Prozent der 1400 Befragten für eine Einführung eines Immunitätsausweises. Dieser soll laut einer Mehrheit auch die Teilnahme an Massenveranstaltungen erlauben. Gleichzeitig sehen rund zwei Drittel die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft und einer Diskriminierung jener, die nicht immun sind. Die wissenschaftliche Covid-Taskforce hatte schon im April vor einer Stigmatisierung durch einen Gesundheitspass gewarnt und sah sich an dunkle Zeiten der Geschichte erinnert (siehe Box unten).

«Tests kosten Unsummen»

Für Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, ist es darum auch eine politische Frage, ob man bereit sei, Geimpften oder Getesteten Sonderrechte zu gewähren. Die Frage müsse das Parlament beantworten.

Massentests, wie sie für den «Freiheitspass» nötig wären, beurteilt Minsch aus wirtschaftlicher Sicht kritisch. «Wenn man das auf die ganze Bevölkerung hochrechnet, haben wir derzeit nicht genug Testkapazitäten. Ausserdem würde das Unsummen von Geld kosten.» Minsch könne sich auch nicht vorstellen, dass sich wirklich jemand zweimal pro Woche einem Test unterziehen würde, nur, damit er keine Maske mehr tragen müsste.

Schnelltests machen für Minsch aber etwa bei Flugreisen Sinn. Sobald sie breiter zur Verfügung stehen, könnten solche selektiven Testungen auch auf weitere Bereiche ausgeweitet werden, etwa auf Clubs: «Dort findet so oder so eine Personenkontrolle statt, insofern wäre es auch mit vertretbarem Aufwand möglich, zu überprüfen, ob die Besucher einen negativen Test vorweisen können. Aber etwa am Eingang zur Migros wäre das kaum vertretbar.»

Für BAG kommt die Diskussion zu früh

Noch nicht zu einem «Freiheitspass» oder Immunitätsausweis äussern will sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG): «Bevor nicht klar ist, welche Qualität und Wirksamkeit die zugelassenen Covid-19-Impfstoffe haben werden, ist es noch etwas früh, um über die Ausgestaltung eines Immunitätsausweises und weitgehende Lockerungen zu diskutieren», schreibt Sprecherin Katrin Holenstein. Erst müssten Fragen geklärt werden wie: Wen schützen die Impfstoffe wie gut und wie lange? Schützen sie nur den Geimpften, oder verhindern sie auch eine Übertragung, und wenn ja, wie lange?

Dunkle Geschichte

In einem Policy Brief hat sich die wissenschaftlichen Taskforce des Bundes schon im April kritisch zu Immunitätsausweisen geäussert. Deren Verwendung sei durch das öffentliche Interesse nicht legitimiert, da sie eine Gefahr für die Gesellschaft seien. «Wenn Inhaber eines Passes Privilegien genössen, wären spezielle Massnahmen nötig, um die direkte oder indirekte Diskriminierung zu verhindern», heisst es im Papier. Immunitätszertifikate sollten wenn schon nicht in Form eines Passes verwendet werden. Die Autoren verweisen darauf, dass Gesundheitspässe im Faschismus immer wieder eine Rolle gespielt hätten und etwa im Umkreis der Eugenik aufgekommen seien, um überlegene Menschen auszuzeichnen.

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