Darum zeigt die Corona-Kurve steil nach unten

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Zweite WelleDarum zeigt die Corona-Kurve steil nach unten

Die Corona-Fallzahlen liegen ein Viertel tiefer als in der Vorwoche. Eine zweite Welle sei damit vorläufig abgewendet, sind sich Epidemiologen einig.

Darum gehts

  • Die bestätigten Neuinfektionen mit dem Coronavirus haben im Vergleich zur Vorwoche deutlich abgenommen.
  • Das stimmt Epidemiologen und Infektiologen zuversichtlich: Derzeit drohe die Schweiz nicht in eine zweite Welle zu schlittern.
  • Das BAG verweist darauf, dass auch die Anzahl Tests zurückgegangen sei. Die Fallzahlen nähmen in den letzten Tagen aber nicht weiter zu.

Angesichts steigender Corona-Fallzahlen war die Angst vor der zweiten Welle Mitte September gross. Nun zeigt sich: In den letzten sieben Tagen hat es im Vergleich zur Vorwoche fast ein Viertel weniger bestätigte Neuinfektionen gegeben (24 Prozent, Stand Mittwoch). Dabei ist laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zu beachten, dass auch deutlich weniger Tests durchgeführt worden seien. Die Hospitalisationen waren im selben Zeitraum ebenfalls leicht rückläufig (siehe unten).

«Die Schweiz ist bis jetzt noch nicht in eine zweite Welle geraten», sagt der Epidemiologe Marcel Tanner. Er ist als Präsident der Akademien der Wissenschaften der oberste Wissenschaftler der Schweiz. «Von einer Welle sprechen wir erst dann, wenn wir die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehen können.» Das sei derzeit nicht der Fall: «Die Kantone leisten hervorragende Arbeit, die Fallzahlen könnten sogar noch ein wenig ansteigen, ohne dass die Contact-Tracing-Teams überlastet wären. Wir haben die zweite Welle dank der Massnahmen also vorläufig abgewendet.»

«Situation erlaubt Lockerungen»

Die Gründe für die positive Entwicklung sieht Tanner vor allem auch im Contact-Tracing: «Die Kantone haben sich über die letzten Monate stark verbessert. Heute gelingt es uns sehr gut, Infektionsherde auszumachen und Übertragungen durch gezielte Massnahmen zu verhindern.» Das ermögliche der Schweiz, etwa Grossanlässe wieder zu erlauben, sofern entsprechende Schutzkonzepte bestünden.

Die Basler Epidemiologin und Virenforscherin Emma Hodcroft zeigt sich ebenfalls erfreut über die tieferen Zahlen: «Ich glaube, dass die Ausweitung der Maskenpflicht und die strengeren Massnahmen im Kanton Waadt dazu beigetragen haben», sagt sie. Das sei ein gutes Beispiel dafür, dass wir das Virus eindämmen könnten, ohne flächendeckend strikte Massnahmen durchzusetzen.

Reiseaktivität ging zurück

Infektiologe Christian Garzoni bringt noch einen weiteren Grund für die rückläufigen Fallzahlen ins Spiel: «Seit dem Ende der Sommerferien hat die Reiseaktivität deutlich abgenommen. Somit hat die Schweiz weniger Corona-Fälle aus dem Ausland importiert.» Er glaubt, dass die Schweiz nicht mehr in eine «Tsunami-Welle» wie im Frühjahr laufen wird: «Die Situation ist unter Kontrolle», sagt Garzoni. «Doch wir dürfen nicht lockerlassen. Die Zahlen widerspiegeln das Verhalten der Bevölkerung.»

In vielen anderen europäischen Ländern steigen die Fallzahlen dagegen schnell an. Ein Grund, weshalb die Schweiz im europäischen Vergleich derzeit besser abschneidet, liegt laut Tanner in der föderalistischen Herangehensweise: «Zentralistischere Staaten wie Frankreich können weniger gut und schnell auf die lokalen Gegebenheiten reagieren.» In der Schweiz könnten die Kantone auf die jeweilige Risikolage zugeschnittene Massnahmen umsetzen.

«Lassen wir nicht locker, gewinnen wir»

In der Schweiz haben wir laut Hodcroft ausserdem das Glück, dass wir im Sommer viel in die Natur konnten: «In anderen europäischen Ländern ist das weniger gut möglich, und die Städte sind viel dichter besiedelt, was es schwieriger macht, die Verbreitung des Virus einzudämmen.»

Trotz der momentan guten Zahlen betonen die Wissenschaftler, wie wichtig es sei, dass sich weiterhin alle an die bestehenden Massnahmen hielten: «Wenn wir nicht lockerlassen, gewinnen wir», sagt Tanner. Hodcroft drückt es so aus: «Wir müssen uns dem Tanz des Virus anpassen: Wenn es sich bewegt, müssen wir uns auch entsprechend bewegen, um es aufzuhalten.»

«Entscheidend ist die Stabilisierung»

Daniel Dauwalder, Mediensprecher des Bundesamts für Gesundheit, sagt, die Fallzahlen hätten sich zwar stabilisiert, es sei aber noch zu früh, um von einem eigentlichen Trend zu sprechen: «Dafür müssen wir die Entwicklung in den nächsten Wochen abwarten.» Auch sei zu berücksichtigen, dass in der vergangenen Woche die Zahl der Tests deutlich geringer gewesen sei als in den Wochen zuvor – in der Grössenordnung von 20 Prozent. Trotzdem sieht Epidemiologe Marcel Tanner die Entwicklung positiv: «Auch unter Berücksichtigung der Testhäufigkeit sind die Fallzahlen relativ stabil, das ist das Entscheidende», sagt er. Ein positiver Indikator seien ausserdem die leicht rückläufigen Hospitalisationen: «Während des Anstiegs in den letzten Wochen haben sich prozentual wieder etwas mehr ältere Leute angesteckt. Dass die Hospitalisationen trotzdem rückläufig sind, stimmt auch positiv.»

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