Forscher schlägt Integrationskurse für Schweizer vor

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«Langsam zu einer Minderheit»Forscher schlägt Integrationskurse für Schweizer vor

Ein Soziologe sagt, dass sich die Einwanderung nicht mehr bremsen lasse. Die Schweiz solle stolz auf ihre grosse Vielfalt sein.

Darum gehts

  • Soziologe Ganga Jey Aratnam bezeichnet die Schweiz als das vielfältigste Land Europas – mit Ausnahme von Luxemburg.
  • Er sagt in einem Interview, dass sich die Einwanderung auch mit neuen Gesetzen nicht mehr bremsen lasse – wegen Menschenrechten, Einbindung in Europa und Wirtschaftsstruktur.
  • Er schlägt Integrationskurse für Einheimische vor.

«Für eine massvolle Zuwanderung» – so heisst die Initiative, die im September vors Volk kommt. Bei einem Ja hätte der Bundesrat ein Jahr Zeit, um mit der EU die Beendigung der Personenfreizügigkeit auszuhandeln. In einem Interview mit der «Sonntagszeitung» sagt Soziologe Ganga Jey Aratnam, dass sich die Einwanderung nicht mehr bremsen lasse – auch nicht mit neuen Gesetzen. Dem stünden Menschenrechte, die Einbindung in Europa und die Wirtschaftsstruktur entgegen. «Heute sind wir zu stark vernetzt und eingebunden.»

Man könne die Einwanderung steuern, aber nur bedingt. «In über der Hälfte der Heiraten in der Schweiz habe mittlerweile mindestens eine Brautperson keinen Schweizer Pass», sagt der Forscher. Hinzu kämen etwa Kinder von Migranten, Flüchtlingsstatus, Familiennachzug und die Arbeitskräfte, die die Schweizer Wirtschaft auch in Zukunft aus dem Ausland anziehe.

«Hypervielfalt in der Schweiz»

Er bezeichnet die Schweiz als das vielfältigste Land Europas – mit Ausnahme von Luxemburg, das bevölkerungsmässig viel kleiner ist. «Ist die Vielfalt einmal erreicht, kann man sie nicht mehr stoppen», so der 48-Jährige. Das Land gehe gut mit der Vielfalt um und es gebe erstaunlich wenig Probleme.

Im Ausland hingegen würden viele Leute glauben, dass Rassismus in der Schweiz weit verbreitet sei und das Leben der Migrantinnen erschwere. «Oft wird die Annahme der Minarettinitiative als Beleg erwähnt.» Durch diese Volksbegehren würden Probleme angesprochen und politische Debatten durchgeführt, die andernorts unterdrückt und dann in Gewalt münden würden.

«Langsam zu einer Minderheit»

Der Forscher plädiert dafür, dass die Schweiz auf ihre grosse Vielfalt stolz sein soll. «Die Schweiz sollte die Hypervielfalt als ihre Kultur ansehen.» Er könne nachvollziehen, dass das einige Alteingesessene überfordert. «Deshalb finde ich, dass es Integrationskurse für Einheimische geben soll», sagt er im Interview. Für Einheimische seien solche Kurse nötig, denn sie würden langsam zu einer Minderheit. Es sei in ihrem Interesse, einen Zugang zu Menschen mit Migrationshintergrund zu finden. «Wenn sich die Einheimischen nicht anpassen, werden sie zu Verlierern im eigenen Land.»

Handlungsbedarf sieht Aratnam etwa bei den Asylbewerbern. Hier liege erhebliches Potenzial brach. «Die Schweiz braucht auch Nicht-Hochqualifizierte, gerade im Dienstleistungssektor, zum Beispiel in der Pflege oder in der Gastronomie.» Man müsse mehr in die Ausbildung für Erwachsene investieren und im System andere Anreize setzen. «Etwas Druck ist manchmal nicht schlecht. In der Schweiz hat man diesbezüglich aber oft Hemmungen.»

«Rassismus beim Heiraten»

Eines der grössten Tabus sieht Aratnam beim Thema Rassismus. «Viele Leute etwa aus dem Kosovo, der Türkei oder Sri Lanka können sich nur eine Ehe mit einer Person aus demselben Kulturkreis vorstellen.» Es sei rassistisch, wenn ein Schweizer Vater sage, seine Tochter dürfe keinen Dunkelhäutigen heiraten. «Wenn ein Albaner sagt, man solle nur Albaner heiraten, so ist das genauso rassistisch.» Dasselbe gelte für die erschreckend weit verbreitete Homophobie auch bei bestimmten Migrantengruppen.

Zur Person

Ganga Jey Aratnam ist 48 Jahre alt und Soziologe an der Universität Basel. 1995 war der zur tamilischen Minderheit gehörende Sri Lanker in die Schweiz gekommen. Er studierte und erlange einen Doktortitel. Er forschte unter anderem zu Reichtum, Arbeitsmarkt und Migration. Dieses Jahr wird sein Buch «Race to the Top: Hochqualifizierung, Zuwanderung und die Dynamiken auf dem Schweizer Arbeitsmarkt» herauskommen.

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