Provoziert die Polizei Raserdelikte?

Die Polizei darf zwar das Tempo kontrollieren, aber nicht zu einer Tempo-Überschreitung provozieren.

Die Polizei darf zwar das Tempo kontrollieren, aber nicht zu einer Tempo-Überschreitung provozieren.

Getty Images
Publiziert

Auto-RatgeberProvoziert die Polizei Raserdelikte?

Marco hat gehört, dass zivile Polizisten andere Fahrzeuglenker ganz bewusst zu Rennen provozieren. Was ist an diesem Gerücht dran?

Olivia Solari, AGVS
von
Olivia Solari, AGVS

Frage von Marco ans AGVS-Expertenteam:

Ich höre immer wieder Geschichten, in denen die Polizei auf der Strasse andere Fahrzeuglenker zum Rasen oder gar zu einem Rennen auffordert. Gibt es dafür eine rechtliche Grundlage? Dürfen Polizisten jemanden zu einer Straftat provozieren?

Antwort des AGVS:

Lieber Marco

Die Kernaufgabe der Polizei ist grundsätzlich das Verhindern von Straftaten und nicht das Hervorrufen von Kriminalität. Geschichten wie deine, in denen die Polizei Autofahrer zu Raserdelikten anstachelt, sind mir selbst nicht bekannt. Der Polizei stehen zwar grundsätzlich sogenannte Zwangsmassnahmen im Ermittlungsverfahren zur Verfügung, mit denen sie auf Zielpersonen einwirken kann, es gibt hierfür jedoch Grenzen. Polizeibeamte dürfen sich zum Beispiel bei der verdeckten Fahndung nach Artikel 298a ff der Strafprozessordnung (StPO) nicht als eigentliche Anstifter oder sogenannte «Agents provocateurs» betätigen. Erlaubt ist lediglich die Konkretisierung eines schon bestehenden Tatentschlusses (Art. 298c Abs. 2 i.V.m. Art. 293 Abs. 1 StPO). Zudem muss ein Tatverdacht vorliegen (Art. 298b Abs. 1 StPO). Eine weitläufig bekannte Situation dafür sind Scheinkäufe bei Drogendealern.

Zur Veranschaulichung deiner Frage zu Raserdelikten (Art. 90 Abs. 3 Strassenverkehrsgesetz) kann ich dir folgendes Beispiel machen: Zwei Beamte in Zivil treffen während einer Patrouillenfahrt auf eine Kolonne leistungsstarker Autos. Zuvor wurde den Beamten per Funkspruch mitgeteilt, dass sich laut Zeugenaussagen einige Fahrzeuge vor Ort Strassenrennen liefern. Als die Kolonne und das (zivile) Polizeifahrzeug an einer Ampel zu stehen kommen, lässt der Fahrer des vordersten Fahrzeugs den Motor aufheulen und gibt Handzeichen, um das danebenstehende zivile Polizeiauto zu einem Rennen aufzufordern. Im Bewusstsein dessen gibt der Polizist ebenfalls ein paar Gasstösse im Leerlauf ab. In Rennstimmung rast der Lenker in seinem PS-starken Fahrzeug nun bei grüner Ampel davon und überschreitet dabei massiv die Höchstgeschwindigkeit. Die Polizei nimmt darauf die Verfolgung auf.

Um meine Erklärung möglichst kurz zu halten, werde ich mich hier auf die Kernpunkte beschränken. Zwar hat die Polizei in unserem theoretischen Beispiel den verdächtigen Lenker gewissermassen zu einem Rennen aufgefordert, jedoch durfte sie davon ausgehen, dass dieser bereits einen allgemeinen Tatentschluss gefasst hatte. Die Zeugenaussagen und das Verhalten des Lenkers legten dies nahe. Das Vorgehen der Polizei wäre in diesem Fall also grundsätzlich rechtmässig.

Nicht erlaubt wäre hingegen das direkte Auffordern zu einem Strassenrennen oder einem Raserdelikt einer beliebigen Person, die nicht unter Tatverdacht steht, oder eine Aufforderung, die eine konkrete Gefährdung anderer Personen zur Folge hätte. Würde die Polizei zum Beispiel einen beliebigen Fahrzeuglenker zu einem Rennen auffordern und dieser folgt der Aufforderung, so kann dies zu einem Beweisverwertungsverbot oder zu einer Strafmilderung zugunsten des Beklagten führen. Der betreffende Beamte hingegen hätte unter Umständen mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.

Der AGVS

Der AGVS ist der Verband der Schweizer Garagisten. 4000 Betriebe mit 39'000 Mitarbeitenden (darunter 9000 Nachwuchskräfte in Aus- und Weiterbildung) sorgen dafür, dass wir sicher, zuverlässig und energieeffizient unterwegs sind. Und dieses Expertenteam sorgt für Durchblick: Markus Aegerter (Handel und Dienstleistungen), Olivier Maeder (Bildung), Markus Peter (Technik und Umwelt) und AGVS-Juristin Olivia Solari (Recht).

Das Beispiel oben ist jedoch sehr theoretisch und dürfte meines Wissens in der Realität kaum vorkommen. Eine realistische Situation, in der sich ein Raser zu einem Rennen herausgefordert fühlen könnte, kann ich mir wie folgt vorstellen: Polizeibeamte in einem zivilen Wagen setzen zur Verfolgung eines Rasers auf der Autobahn an. Dieser sieht den Wagen als Kontrahenten und drückt darauf noch etwas mehr auf die Tube, unwissend, dass die Herren im Verfolgerwagen eine Nachfahrmessung vornehmen.

Generell rate ich dir und allen Lesern strikt davon ab, jeglichen Aufforderungen zur Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit Folge zu leisten.

Gute Fahrt!

Sende deine Frage(n) einfach per Mail an autoratgeber@20minuten.ch. Die interessantesten und aktuellsten Fragen und natürlich die Antworten publizieren wir jeden Mittwoch unter dem Vornamen des Fragenden hier im Autochannel auf 20min.ch.

Deine Meinung

15 Kommentare