Drängen sich Schweizer in die Ausgangssperre?

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CoronavirusDrängen sich Schweizer in die Ausgangssperre?

Trotz der Appelle des Bundes strömten am Samstag die Menschen ins Freie – Abstand halten war oft kein Thema. Ein Arzt warnt.

B. Zanni
von
B. Zanni

Abstand halten, zu Hause bleiben, Hände waschen: Diesen Rat wiederholen der Bundesrat und Ärzte im Kampf gegen das Coronavirus beinahe täglich. Auch wenn Bundesrat Alain Berset jüngst feststellte, dass die Bevölkerung mehrheitlich die Regeln beherzigt, gab es bei einigen am Samstag wegen des sonnigen Wetters kein Halten mehr: Spaziergänge, Spritzfahrten und Velotouren standen hoch im Kurs. Ein Twitterer meinte dazu: «Schönwetter-Ego-Ignoranz.»

Am Samstagnachmittag seien unzählige Meldungen von Personenansammlungen eingegangen, schreibt die Kantonspolizei St. Gallen. Zwölf uneinsichtige, meist jüngere Personen seien weggewiesen worden. Acht Personen erhielten laut der Polizei eine Ordnungsbusse. Diese beträgt 100 Franken und droht, wenn das Versammlungsverbot oder die Mindestabstandsregel missachtet wurde.

Ausflügler auf Fähre und am See

Viel Betrieb herrschte auch auf der Zürichsee-Fähre. Dutzende Velo- und Autofahrer schipperten von Horgen nach Meilen ZH und umgekehrt. Ein Mitarbeiter beklagte sich, dass die Lenker wegen des schönen Wetters ausgestiegen seien, was das Einhalten des Abstands bei der Billettkontrolle verunmöglicht habe.

Ein Leser aus dem Kanton Freiburg traute seinen Augen nicht, als er am Samstag die Parkplätze rund um den Schwarzsee sah. «Trotz gebotener sozialer Distanz waren dort hunderte Autos auf sämtlichen Parkplätzen parkiert», sagt er. Die Autos seien aus verschiedenen Kantonen gekommen.

Einen ähnlichen Eindruck hatte ein Twitterer. Er filmte von seinem Balkon aus, wie sich Jugendliche auf einem Sportplatz trafen.

Nicht nur im Freien klappte das Social Distancing am Wochenende offenbar nicht. Eine Leserin berichtete etwa, dass sich in ihrem Bekanntenkreis Leute zu TV- und Kochabenden getroffen hätten.

Verhalten sei gefährlich

Nichts anfangen mit dem Verhalten einiger Deutschschweizer kann Andreas Cerny. Der Tessiner Arzt für Infektiologie arbeitet am Moncucco-Spital in Lugano, das derzeit von Corona-Patienten überschwemmt wird. «Das Verhalten dieser Leute ist sehr gefährlich», sagt er. Bei diesen habe es wohl noch nicht ‹klick› gemacht. «Im Tessin hält man sich an das Zuhausebleiben, weil immer mehr Leute Patienten kennen, die auf der Intensivstation liegen.»

Laut Cerny können auch Personen mit nur milden Symptomen am Coronavirus erkrankt sein. «Jemand in unserem Berufskreis hatte nur eine Geruchsstörung und war positiv.» Wer sich nicht an das Versammlungsverbot und die Abstandsregeln halte, spiele «Russisches Roulette». Die Deutschschweiz hinke dem Tessin schliesslich nur ein paar Tage hinterher.

Cerny ist der Meinung, dass das Versammlungsverbot verschärft werden müsse. «Es sollten sich nur noch Personen aus dem gleichen Haushalt versammeln können», fordert er. Das jetzige Verbot mache insbesondere keinen Sinn, wenn sich Personen aus verschiedenen Familien versammelten. «Solche in der Inkubationsphase oder mit einem asymptomatischen Krankheitsverlauf können das Virus von einer Familie auf die andere übertragen.»

Ausgangssperren gefordert

Die Szenen vom Samstag lassen den Ruf nach einer Ausgangssperre laut werden. Gesundheitsminister Alain Berset sagte gleichentags, diese sei noch nicht vom Tisch, insbesondere, wenn sich die Bevölkerung nicht an die Massnahmen halte.

Das befürchtet auch ein Twitter-User: «Denn das gestrige und heutige Verhalten wird nächste Woche spürbar sein. Die Verbreitung steigt noch zu stark.» Auf der Plattform Change.org befürworten gar 11'000 Menschen eine Ausgangssperre. Lanciert hat die Forderung der Westschweizer Arzt Alessandro Diana.

«Reissverschluss-Prinzip»

Immunologe Beda M. Stadler hat Verständnis dafür, dass die frühlingshaften Temperaturen die Menschen aus dem Haus lockten. «Es ist richtig, dass die Leute rausgehen, gerade für die psychische Gesundheit in dieser Krisensituation.» Zudem sei Sonnenlicht wichtig für die Bildung von Vitamin D und stärke das Immunsystem.

Wichtig sei jedoch, dass man sich verantwortungsvoll verhalte und den gesunden Menschenverstand einsetze: «Wer auf dem Land ab vom Schuss wohnt, kann problemlos raus.» In dicht besiedelten Gebieten sei es wichtig, dass man sich etwa im Wald nach dem «Reissverschluss-Prinzip» kreuze. «Ein Abstand von zwei Metern ist sicher gut – man sollte aber auch die Windrichtung beachten. Denn je nachdem können so, wenn jemand niest, die Viren bis zu zehn Meter weit fliegen.»

Stadler hofft, dass auch der Bundesrat den gesunden Menschenverstand walten lässt und aufgrund von Völkerwanderungsszenen nicht zur Ausgangssperre greift: «Man kann die Menschen nicht wochenlang einsperren.»

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