«Es braucht nun schnelle Coronavirus-Tests»

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Basler Infektiologe«Es braucht nun schnelle Coronavirus-Tests»

Nach dem ersten Coronavirus-Fall im Tessin brauche es flächendeckende und schnelle Tests, fordert ein Infektiologe. Die Kantone stünden in der Verantwortung.

P. Michel
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P. Michel

So verbeitet sich das Coronavirus in Europa. (Video: 20M)

Herr Widmer*, die Schweiz hat im Tessin den ersten Coronavirus-Fall. Sind Sie überrascht?

In Italien sind rund 300 bestätigte Fälle bekannt. Es gibt rund 70'000 Italiener, die ins Tessin pendeln. Da muss man kein Nobelpreisträger sein, um vorauszusagen, dass auch in der Schweiz der erste bestätigte Fall nur eine Frage der Zeit war.

Es handelt sich um einen 70-jährigen Mann, der sich an einer Versammlung in Mailand angesteckt hat. Ein typischer Fall?

Ja. Wir wissen aus der bisherigen Forschung, dass es unter 30-Jährige praktisch nicht trifft. Ab 50 Jahren wird es dann ungemütlich. Und ab 70 Jahren sehr ungemütlich. 80 Prozent der weltweiten Fälle waren Personen im Alter von über 50

Jahren.

Was ist jetzt wichtig: Wie kann die weitere Übertragung gestoppt werden? Und ist das überhaupt möglich?

Ob eine Eindämmung noch möglich ist, ist wie die Frage nach den nächsten Lottozahlen. Zentral sind nun schnelle Tests. Die Kantone müssen flächendeckend alle Verdachtsfälle testen und die Infizierten sofort separieren. Das wird einiges kosten. Und die Tests, die wir im Moment haben, konnten nicht in der Tiefe wissenschaftlich geprüft werden, wie dies bei anderen Viren der Fall war. Daher kann es auch zu Fehltests kommen. Es gibt viele Herausforderungen, aber hier sind wir in der Schweiz sehr gut dran.

Welche weiteren Herausforderungen gibt es?

Die Spitäler sind mit der saisonalen Grippe schon belastet. Nun kommen die Coronavirus-Fälle noch obendrauf. Das bringt viele Spitäler an die Grenzen. Hinzu kommt beim Coronavirus, dass die Symptome sich nicht von einer normalen Grippe unterscheiden und so eine Erkennung noch schwieriger ist. Ich bin gespannt, wie die flächendeckenden Tests im Tessin in Anbetracht dieser Schwierigkeiten konkret umgesetzt werden. Es ist medizinisch wie logistisch eine Herkulesaufgabe.

Schon am Sonntag wurden Forderungen laut: Grenzen schliessen, Grenzkontrollen oder Temperaturchecks. Das BAG hält sich weiter zurück und fährt nur eine Informationskampagne. Reicht das?

Wir müssen uns bewusst sein, dass die Todesrate beim Coronavirus laut einer aktuellen Schätzung zehnmal höher ist als bei einer saisonalen Grippe. Die Faktenlage ist mit der Ausbreitung in Italien und mit dem ersten Fall in der Schweiz zumindest nun erdrückend. Wir müssen uns auf einschneidende Massnahmen vorbereiten, etwa die Meidung von Grossanlässen.

Und Grenzschliessungen?

Grenzschliessungen oder Kontrollen bringen nichts. Das wichtigste sind die schnellen Tests. Gemäss den legalen Grundlagen stehen die Kantone hier in der Verantwortung. Und sie sind laut Gesetz auch dazu befugt, Massnahmen zu ergreifen. Der Tessiner Kantonsarzt hat ausgezeichnet reagiert: Als sich die Lage in Norditalien verschärft hat, hat er umgehend die Quarantäne-Möglichkeit angepasst, Masken und anderes vom Bundesamt für Gesundheit gefordert und auch eine lokale Diagnostik, um Zeit zu gewinnen.

Soll man nun noch ins Tessin reisen?

Bei einigen wenigen Fällen sehe ich da kein Problem. Ich würde mir einfach nicht zehn Filme in einem vollen Kinosaal anschauen gehen.

*Andreas Widmer ist Stellvertretender Chefarzt und Leiter der Abteilung für Spitalhygiene am Unispital Basel.

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