«Greift man uns Latinas an, verteidigen wir uns»

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Prügel-Video«Greift man uns Latinas an, verteidigen wir uns»

Ein Video von einer Schlägerei unter Mädchen im Bahnhof Bern löste ein grosses Echo aus. Jetzt spricht die Mutter einer Beteiligten.

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Mädchen prügeln aufeinander ein. Das Video wurde in Bern aufgenommen. (Video: Leser-Reporter)

Nach einem Eifersuchtsstreit in einem Club eskalierte die Situation am Bahnhof Bern: Rund zehn Bielerinnen und vier junge Frauen mit Wurzeln in der Dominikanischen Republik und Kuba lieferten sich dort letzten Freitagabend eine Schlägerei. Das Video ging auf Social Media viral. Die bereits vorbestrafte Lucia* verteidigte ihre Kollegin Jada*. Ein Mädchen aus Biel habe ihrer Kollegin im Club vorgeworfen, etwas mit ihrem Freund zu haben, so Lucia. Neben ihr schlägt im Video auch die Halbkubanerin Jada (15) zu.

Nun äussert sich ihre Mutter zum Vorfall. «Viele Freundinnen riefen mich am Dienstagmorgen an und fragten erstaunt, was denn mit Jada los sei», sagt die Mutter. Da Lucia vorbestraft sei, glaubten viele zu Unrecht, Jada verkehre in einer kriminellen Gang.

«Meine Tochter hat sich nur gewehrt»

«Ich habe in meinem Leben schon viel gelitten. Es tut mir sehr weh, dass meine Tochter nun als Kriminelle abgestempelt wird», sagt die Mutter. Dabei sei Jada eine ganz normale 15-jährige Latina. «In ihrer Freizeit geht sie mit mir einkaufen, telefoniert mit ihren Freundinnen. Alles, was man in dem Alter so macht. Aber eine Kriminelle ist sie sicher nicht.»

Laut der Mutter schlug Jada zu, weil sie zuvor von anderen Mädchen angegriffen worden war. «Meine Tochter hat sich nur gewehrt. Wir Latinas halten zusammen und verteidigen uns, wenn wir angegriffen werden», stellt sie klar. Dies verstünden viele Schweizer nicht. «Es ist ein Unterschied: Während sich der Latino verteidigt, möchte der Schweizer lieber reden.»

Latinos hätten viel Stolz

Georg Franco, Präsident des Vereins Latinos Unidos, bestätigt das Verhalten. «Wir Latinos haben viel Stolz. Wir wollen nicht als Schwächlinge angesehen werden», sagt er. Auf Provokationen und Attacken reagierten sie deshalb gnadenlos. «Wenn es zwischen zwei Latinas zu einem Streit um etwas Wichtiges wie einen Mann kommt, kämpfen sie miteinander.»

Hat eine Frau laut Franco einer anderen zum Beispiel den Mann ausgespannt, ist es mancherorts in Südamerika üblich, dass sie sich prügeln und an den Haaren reissen, bis eine dritte Person sie voneinander trennt. «Latinos lösen Konflikte auf die harte Tour. Danach ist aber gut und sie sind Kollegen», sagt Franco.

Gewalt sei kein Kollektivproblem der Latinos

Eine Rolle spiele aber auch das Temperament. «Wie auch andere Südländer wie Albaner reagieren wir empfindlich auf Verletzungen und Beleidigungen.» Franco kritisiert diese Konfliktkultur. «Wir leben in der Schweiz und müssen uns integrieren. Deshalb sollten Konflikte mit Worten statt mit Gewalt gelöst werden.»

Johannes Kabatek, Direktor des Lateinamerika-Zentrums an der Universität Zürich, betrachtet den Fall von einer anderen Seite. «Gewalt ist kein Kollektivproblem der Lateinamerikaner. Gerade Kuba ist ein friedfertiges Land.» Die Anwendung von Gewalt sei in diesem Fall wohl eher ein individuelles Problem.

*Namen geändert

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