Geisterfahrer soll immer schlechter gesehen haben

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UnfallserieGeisterfahrer soll immer schlechter gesehen haben

Die Warnungen vor Geisterfahrern auf Schweizer Autobahnen haben sich zuletzt gehäuft. Sollten Senioren häufiger zum Eignungstest?

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Vom Beifahrersitz aus filmte ein Leser die Geisterfahrt. (Video: Tamedia)

Das Video macht Autofahrern Angst: Es zeigt, wie ein SUV am Samstagvormittag auf der A6 in der falschen Richtung fährt. Die Geisterfahrt endete in der Nähe von Rubigen BE mit einem schweren Unfall. Der 82-jährige Lenker aus dem Kanton Bern starb noch auf der Unfallstelle.

Das Verhalten des Fahrers stösst auf Facebook auf Unverständnis. Die Kommentare von Lesern lauten etwa: «Wie kann man so dumm sein?» oder «Da sind hirnlose Typen unterwegs, die andere gefährden.» Ein grosses Thema ist das Alter des Unfallverursachers. «Hier ist der Staat dringend gefragt. Ab einem gewissen Alter müssen Autolenker verschärft kontrolliert werden. Ansonsten wird es regelmässig solche News geben», so ein Kommentar.

Ein Freund des Verstorbenen sagt zu «Blick», dass dessen Fahrtüchtigkeit in letzter Zeit nachgelassen habe: «Normalerweise grüsste er mich immer, wenn er mit dem Auto an mir vorbeifuhr, oder er hielt an.» Zuletzt habe er das kaum noch getan. «Ich nehme an, dass er mich am Strassenrand vielleicht gar nicht mehr gesehen hat. In letzter Zeit sah er immer schlechter.» Deswegen sei Alfons T. auch nur noch kurze Strecken innerhalb der Gemeinde gefahren. Auf die Autobahn habe er sich wohl nur begeben, um seine Schafe zu besuchen.

Wer stoppt die Geisterfahrer?

Geisterfahrer haben in letzter Zeit öfters für Schlagzeilen gesorgt. Erst am 8. Februar kam ein Geisterfahrer (92) auf der A2 bei Rancate TI um Leben (siehe Kasten). Auch warnte Viasuisse in den vergangenen Monaten aussergewöhnlich häufig vor Falschfahrern: Allein seit Anfang Jahr verbreitete die Verkehrszentrale 15 Geisterfahrer-Meldungen. 2019 waren es 111 Meldungen – nach jeweils gut 90 Falschfahrer-Warnungen in den Vorjahren.

Vorfälle mit Geisterfahrern

8. Februar 2020: Ein 92-jähriger Falschfahrer verursacht auf der Autobahn A2 bei Rancate TI einen Unfall mit insgesamt fünf Fahrzeugen. Er hatte auf der Autobahn die Richtung gewechselt. Der Geisterfahrer starb noch vor Ort.

21. Januar 2020: Ein Fahrer (85) ist auf der A2 bei Basel auf Abwegen. Wegen ihm verunfallt eine 51-Jährige, die leicht verletzt wird. Die Polizei schnappt den Geisterfahrer wenig später.

22. Dezember 2019: Die Kantonspolizei St. Gallen hält auf der A13 einen 82-jährigen Falschfahrer an. Er hatte sein Auto schon am Vortag auf der Autobahn gewendet.

22. April 2019: Ein Geisterfahrer fällt auf der A13 in Richtung Chur auf. Er fährt Zickzack.

9. Februar 2019: Auf der A1 Courgevaux FR fährt ein Geisterfahrer in ein entgegenkommendes Auto. Ein Mann und eine Frau werden schwer verletzt.

Oftmals sind es laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) über 70-jährige oder alkoholisierte Lenker, die zu Geisterfahrern werden. Das ruft die Politik auf den Plan. So sagt Michael Töngi, Grünen-Nationalrat und Präsident der Verkehrskommission: «Mit der steigenden Lebenserwartung haben wir immer mehr Autofahrer im fortgeschrittenen Alter. Wir müssen prüfen, ob die Fahreignungsabklärungen streng genug sind.» Das Parlament habe leider die ärztlichen Untersuchungen aufgeweicht: Seit 2019 müssen Senioren erst ab 75 statt 70 alle zwei Jahre zum Check.

Für Martin Candinas muss die Entwicklung weiter beobachtet werden. «Wichtig ist, dass Verkehrsverbände, BfU und Medien die Leute auf das richtige Verhalten sensibilisieren.» Wenn ein Geisterfahrer nach dem Fehler anhalte, statt wie im Fall vom Samstag weiterfahre, könnten Unfälle vermieden werden. Bei dementen Menschen könne es helfen, wenn auch Angehörige hinschauten. Technische Lösungen wie die Geisterfahrer-Kralle in Österreich, die falsch auffahrende Autofahrer stoppt, findet Candinas zu teuer und zu wenig wirksam.

«Einzelfälle, die sehr tragisch sind»

Auch BfU-Sprecher Marc Kipfer sieht kein Patentrezept: «Die Gründe für Geisterfahrten sind sehr vielfältig.» Eine bessere Signalisation etwa durch riesige Einbahnschilder nutze nur bedingt: «Ein Teil der Geisterfahrer wechselt die Fahrtrichtung mitten auf der Autobahn.» Das könne auch aus einem so banalen Grund wie einem vergessenen Regenschirm auf der Raststätte passieren. Und technische Lösungen wir Lasersysteme, die falsch auffahrende Autos erkennen, hätten im Testbetrieb zu viele falsche Alarme ausgelöst.

Auch strengere Fahrtauglichkeitstests im Alter hätten ihre Tücken: «Bescheinigt ein Arzt die Fahrtüchtigkeit für zwei Jahre, sind Lenker geneigt, so lange weiterzufahren.» In anderen Systemen komme vermehrt die Eigenverantwortung zum Tragen.

Keinen Handlungsbedarf sieht ACS-Präsident und SVP-Nationalrat Thomas Hurter: «Es handelt sich um Einzelfälle, die sehr tragisch sind.» Nun deswegen alle älteren Lenker unter Generalverdacht zu stellen, sei nicht verhältnismässig. Vielmehr müsse man für die Problematik sensibilisieren. Sehr erfolgreich seien zum Beispiel Fahrkurse für ältere Personen.

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