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Extremisten schüchtern Bürgermeister ein

Das Büro des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle an der Saale, auf das geschossen wurde. Foto: Jens Schlüter (EPA)

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Drei Einschusslöcher im Fenster des Bürgerbüros von Karamba Diaby haben letzte Woche Deutschland aufgeschreckt. Der oder die Täter schossen in der Nacht, als niemand da war. Seit sieben Jahren sitzt der Sozial­demokrat im Bundestag, als erster Abgeordneter, der aus Afrika stammt. 1985 kam Diaby aus dem Senegal zum Studium in die DDR und blieb danach in Deutschland.

Der freundliche Herr mit der dunklen Haut ist Beleidigungen und Angriffe gewohnt: Bereits vor fünf Jahren wurden die Scheiben seines Büros im ostdeutschen Halle zerstört. Zwei bis drei Hass-Mails erhält er pro Tag. Auf die Frage, ob Deutschland entschieden genug gegen Rassismus vorgehe, sagt er: «Es wird viel getan, aber nicht genug. In den letzten Jahren ist die Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen.»

Der Angriff auf Diaby steht in einer langen, trostlosen Reihe. Silvia Kugelmann, Bürgermeisterin im bayerisch-schwäbischen Kutzenhausen, gab vor kurzem bekannt, dass sie nach zwölf Jahren ihr Amt aufgibt. Sie sei die ständigen Anfeindungen leid. Ihr Auto wurde mit Katzenkot verschmiert, sie erhielt Drohbriefe, zuletzt entdeckte sie bei Tempo 160, dass ihr Autopneu Luft verlor. Jemand hatte einen Nagel hineingedrückt. Da hatte sie genug.

Mit Vergasung gedroht

Arnd Focke hat sein Bürgermeisteramt in Estorf niedergelegt, einer Gemeinde in der Nähe von Hannover. Der Mann, der sich für Flüchtlinge engagiert, fand Hakenkreuze auf seinem Auto vor und Zettel, die ihm mit «Vergasung» drohten. Auf Helma Spörings Haus, Bürgermeisterin unweit von Estorf, wurde ein Brandanschlag mit einem selbst gebauten Sprengsatz verübt.

Und dann ist noch der Fall von Christoph Landscheidt, Bürgermeister im niederrheinischen Kamp-Lintfort. Er wurde in ganz Deutschland bekannt, weil er wegen Bedrohungen durch Neo­nazis einen Antrag stellte, eine Waffe tragen zu dürfen. Die Polizei sei weit weg, klagte er, er wolle sich notfalls selbst verteidigen können. 1000 Bürger gingen danach für ihn auf die Strasse und demonstrierten gegen eine Schar von Rechtsextremisten. Einen Waffenschein erhielt Landscheidt nicht. Um seinen Schutz kümmert sich jetzt die Polizei.

Der SPD-Mann Christoph Landscheidt steht unter Polizeischutz. Foto: Arnulf Stoffel (dpa)

Fünf Fälle, alle aus den letzten vier Wochen. Dabei werden die meisten Attacken gar nie publik, weil die Betroffenen schweigen, meist aus Angst. In einer Befragung durch den Städte- und Gemeindebund gaben letzten Sommer 40 Prozent der Rat­häuser an, von Beleidigungen, Bedrohungen oder Angriffen betroffen zu sein. 1241 politisch motivierte Straftaten vor allem gegen Kommunalpolitiker registrierte das Innenministerium im letzten Jahr, mehr als drei am Tag. Bei 440 waren die Täter Rechtsextreme, bei 246 Linksextreme, in den übrigen Fällen weiss man es nicht.

Zum Mord ist es nicht weit

Nicht nur Politiker, die sich für Flüchtlinge einsetzen, werden bedroht und angegriffen, auch Vertreter der Alternative für Deutschland sind häufig Opfer. Fast all ihre Büros sind schon attackiert worden. Autos werden angezündet, alle Spitzenpolitiker müssen von der Polizei geschützt werden.

In den letzten Jahren ist aus verbalem Hass in den sozialen Medien zunehmend auch reale Gewalt geworden. Im letzten Juni wurde in Kassel der Regionalpolitiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten ermordet, weil er sich für Flüchtlinge eingesetzt hatte. 2015 und 2017 überlebten Henriette Reker, Bürgermeisterin von Köln, und Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena, Messerangriffe nur mit Glück. In beiden Fällen gaben die Täter den Protest gegen Flüchtlinge als Motiv an.

In den vergangenen Monaten wurde bekannt, dass Rechts­extremisten Todeslisten führen, auf denen mehr als 10'000 Menschen zum «Abschuss» freigegeben werden: nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten oder Kirchenleute.

Die Zehntausenden von ehrenamtlichen Gemeinderätinnen und Bürgermeistern hätten nicht nur mehr Respekt verdient, sondern im Ernstfall auch Schutz durch die Polizei, sagt Frank-Walter Steinmeier.

Spät sind Sicherheitsbehörden und Politik aufgewacht. Erst nach dem Mord an Lübcke und dem Attentat auf die Synagoge von Halle erklärte Innenminister Horst Seehofer den rechtsextremistischen Terror zu einer zentralen Gefahr. Im vergangenen Sommer lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 14 bedrohte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ein, um ein Zeichen zu setzen.

Kommunalpolitiker seien nicht nur besonders gefährdet, sagte Steinmeier. Angriffe auf sie seien stets auch Angriffe auf die Demokratie vor Ort. Die Zehntausenden von ehrenamtlichen Gemeinderätinnen und Bürgermeistern hätten nicht nur mehr Respekt verdient, sondern im Ernstfall auch Schutz durch die Polizei. Verändert hat sein Aufruf nicht viel: 3 der 14 damals eingeladenen Bürgermeister haben ihr Amt seither aufgegeben.

Polizei reagiert

Vertreter des Städte- und Gemeindebunds sagen zwar, die Polizei reagiere mittlerweile schneller auf Bedrohungen. Viele Bundesländer hätten zentrale Meldestellen eingerichtet, spezialisierte Staatsanwaltschaften gingen den Fällen konsequenter nach. Dennoch fordern sie, «Politiker-Stalking» als neuen Straftatbestand einzuführen. Justizministerin Christine Lambrecht prüft derzeit, ob Paragraf 188, der Landes- und Bundespolitiker besonders vor Anfeindungen schützt, auf Gemeindevertreter ausgeweitet werden soll, und ob es für Bedrohungen nach Paragraf 241 tiefere Schwellen und einen höheren Strafrahmen braucht. Auch gegen Hetze im Internet will Lambrecht noch entschlossener vorgehen.

Nach den Schüssen gegen die Büroscheiben von Karamba Diaby hat die SPD alle Parteien mit Ausnahme der AfD zu einem Krisentreffen aufgerufen, an dem weitere Massnahmen geprüft und ein «Bündnis gegen Hass» geschlossen werden soll.

Das sei alles gut und recht, meint der vor zwei Jahren mit einem Messer attackierte Andreas Hollstein: Herausgefordert sei aber vor allem die Zivilgesellschaft. Die Bürger müssten sich vor die Politikerinnen und Mitarbeiter in den Rathäusern stellen. Schliesslich gehe es bei solchen Angriffen nie nur um einzelne Menschen oder Parteien: «Sondern um unsere Art des Zusammenlebens.»