Die Spanier wählen am Sonntag  bereits zum zweiten Mal im heurigen Jahr ein neues Parlament. Der Grund: SP-Parteichef Pedro Sanchez brachte trotz monatelanger Verhandlungen mit der linken Podemos keine Regierung zustande. Ident die Lage in Israel: Premier Benjamin Netanjahu holte sich in den Koalitionsverhandlungen eine Abfuhr und musste im September neu wählen. In anderen Ländern zogen sich die Gespräche ewig hin. In Schweden benötigte der SP- Parteichef Stefan Löfven 137 Tage, um mit den Grünen handelseins zu werden. In den Niederlanden vergingen sieben Monate, ehe der rechtsliberale Mark Rutte eine Vierparteienkoalition geschmiedet hat. Ganz zu schweigen von Belgien, das 2010/1 unter Charles Michel 541 Tage nur provisorisch regiert wurde. Auch aktuell sind die Belgier ein halbes Jahr nach der Wahl Lichtjahre von einer Regierung entfernt.

So weit ist man in Österreich noch gar nicht. In acht Verhandlungsrunden haben ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler die Möglichkeit eines türkis-grünen Schulterschlusses ausgelotet, allein gestern saß man zehn Stunden zusammen. Als am Abend beide Verhandlungsteams hintereinander vor die Medien traten, wirkten vor allem die Grünen sehr ernst - ob aus Verärgerung über die ÖVP oder aus Erschöpfung, war nicht ablesbar.

Geringe inhaltliche Schnittmenge

Am Sonntag entscheidet der Bundesparteivorstand der Grünen, ob man in Koalitionsverhandlungen geht, am Montag fallen die Würfel in der Volkspartei. Alles andere als die Aufnahme von Verhandlungen wäre eine Überraschung. Ob diese von Erfolg begleitet sind, ist völlig unklar. Bei keinen anderen Parteien ist die inhaltliche Schnittmenge so gering wie bei Volkspartei und Grünen. In Spanien oder den Niederlanden war die Schnittmenge eine ungleich größere.

ÖVP und Grüne stehen vor einer schwierigen Gratwanderung: Ohne schmerzhafte Kompromisse wird Türkis-Grün nie das Licht der Welt erblicken. Kurz und Kogler gingen zwar gestärkt aus der Wahl hervor, müssen aber Funktionäre, Anhänger, Wähler von der Sinnhaftigkeit vieler Kompromisse überzeugen. Die FPÖ wartet darauf, dass Kurz bei der Migration seine harte Haltung aufweicht, SPÖ und Neos wären Nutznießer, sollten die Grünen in die Mitte rücken.

Im Sog der Kompromisslosigkeit

Vor dem Hintergrund der schwierigen Koalitionsverhandlungen in Thüringen und Sachsen macht der deutsche Politikwissenschaftler Michael Bröning in Europa ein Muster aus, das der Erosion der klassischen Parteien geschuldet ist. „Den europäischen Parteien laufen seit Jahren die Mitglieder davon. Je weniger selbstverständlich die Mitgliedschaft in Parteien ist, desto mehr geraten sie in den Sog der Kompromisslosigkeit. Nicht Kompromissfähigkeit, sondern ideologische Reinheit sind gefragt. Das reduziert den Verhandlungsspielraum und die Aussichten auf erfolgreiche Regierungsarbeit“, so Bröning in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel.

Früher schienen Parteien leichter zum Kompromiss bereit zu sein, war doch die Parteienlandschaft auf absehbare Zeit einzementiert, in große Lager aufgesplittet. Wie volatil Innenpolitik sein kann, zeigt die allerjüngste österreichische Geschichte. Innerhalb von eineinhalb Jahren  flogen die Grünen aus dem Parlament und kehrten triumphierend zurück. Im selben Zeitraum stürzten die Freiheitlichen in den Keller. Und auch die beiden österreichischen Traditionsparteien, ÖVP und SPÖ, sind nicht mehr immun gegen politische Eruptionen oder Erosionen. Kurz verdoppelte nahezu die türkis/schwarze Anhängerschaft  - von rund 20 Prozent in der Schlussphase von Reinhold Mitterlehner (lauf Umfrage) auf 37,4 Prozent (letzte Wahl). Erstmals seit 1945 wies dieser Tage eine Umfrage (Research Affairs oe24) die SPÖ bei 20 Prozent aus.