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Der Tunnelblick der Europäer bei der Seidenstraße

Von Andreas Breinbauer

Gastkommentare
Andreas Breinbauer ist Rektor der Fachhochschule des BFI Wien und leitet dort die Bachelor- und Masterstudiengänge "Logistik und Transportmanagement". Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich intensiv mit verschiedenen Dimensionen und Aspekten der Seidenstraßeninitiative.
© FH BFI Wien

In der medialen Wahrnehmung wird gerade in Österreich Chinas Seidenstraßeninitiative mit einem gigantischen Infrastrukturprojekt assoziiert, das China mit Europa verbinden soll. Das ist eine starke Verkürzung, die sowohl der Breite als auch der Tiefe des Projektes nicht gerecht wird. Die Analyse der offiziellen Dokumente zur Seidenstraßeninitiative zeigt vielmehr: Sie ist eine Einladung Chinas an den Rest der Welt, in verschiedenen Bereichen zu kooperieren und dadurch eine Win-win-Situation und eine Zusammenarbeit mit gegenseitigem Nutzen zu generieren.

Das Projekt ist bis dato regional, zeitlich und thematisch uneingeschränkt, daher gibt es viel Raum für Seidenstraßen-Exegesen. Das zeigt sich zum Beispiel bei den viel zitierten Karten über den Verlauf der Neuen Seidenstraße, die zum allergrößten Teil von westlichen Thinktanks stammen. Es gibt auch kein offizielles Betrittsprozedere für eine Mitgliedschaft, sondern nur halb offizielle Länderlisten (derzeit sind 131 Länder auf der chinesischen Seite des "Belt and Road Portal"). Wenngleich thematisch offen, werden doch sechs Kooperationsfelder angegeben: Politik, Handel, Finanzen, Völkerverständigung, seit April 2019 Industrielle Kooperationen, und ja, auch Infrastruktur als sichtbarster Bereich. Als Erfolge gemäß dieser "sechs Säulen" werden von offizieller chinesischer Seite gefeiert: die hervorragende Zusammenarbeit mit Russland im Politikbereich, das Handelsvolumen von 7 Billionen US-Dollar entlang der Neuen Seidenstraße, der Ausbau von 102 Niederlassungen chinesischer Banken in
24 Ländern, die Internationalisierung der chinesischen Währung, die steigende Zahl chinesischer Auslandsstudierender, die Etablierung von Konfuzius-Instituten im Ausland, die Visa-Befreiung für chinesische Staatsbürger in 29 Ländern entlang der Seidenstraße, die industriellen Kooperationen in 40 teilnehmenden Ländern sowie Schiffsrouten via 600 Häfen in 200 Ländern und die expandierenden Eisenbahnverbindungen Chinas mit Europa.

In der Synopsis mit anderen chinesischen Strategien und Plänen sowie vor allem deren Umsetzung kann gezeigt werden, dass es sechs Jahre nach der Gründung der Initiative eine Asymmetrie und einen Bias zur chinesischen Seite gibt. Mangelnde Reziprozität, Transparenz und Offenheit - nicht nur bei Investitionen - sind eine Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Europa. Sowohl die EU als auch die Nationalstaaten haben erst spät und unkoordiniert reagiert, wohl auch deswegen, weil die verschiedenen Dimensionen vielerorts nicht verstanden wurden. Das offizielle China ist beim jüngsten Seidenstraßengipfel im April 2019 auf die Kritik eingegangen, und hat versprochen, das Projekt offener, multilateraler, transparenter, konkreter und "grüner" zu gestalten. Wenn die von Präsident Xi Jinping angekündigten Änderungen im Setting umgesetzt werden, können sich für europäische Unternehmen und Politiker neue Kooperationschancen ergeben. Dabei sollten selbstsicherer und stärker die eigenen Vorteile beachtet werden, und zwar kurz-, mittel- und langfristig. Hier kann man von China viel lernen.

Eine Langfassung des Textes ist als Policy Brief der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik erschienen: www.oegfe.at/policybriefs