Thomas Sykora: „Olympia-Medaille steht über allem“

Erstellt am 26. Jänner 2022 | 02:40
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Thomas Sykora – seit dem Ende seiner aktiven Weltcup-Karriere 2000 ist er als ORF-Skiexperte, Co-Kommentator und Kamerafahrer im Weltcupzirkus im Einsatz.
Foto: GEPA Pictures/David Geieregger
Zwischen Ganslernhang und Planai und zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele spricht ORF-Skiexperte Thomas Sykora mit der NÖN über Weltcuprennen ohne Zuschauer, „Vorläufer“ Marcel Hirscher, „Überflieger“ Marco Odermatt und Peking 2022.

NÖN: Mit dem Kitzbühel-Wochenende und dem Nachtslalom in Schladming standen zwei Höhepunkte der Weltcupsaison am Programm. Beide fanden aber praktisch ohne Publikum statt. Wie empfindet man das als Sportler?
Thomas Sykora: Für den Sportler hat das Rennen den gleichen Stellenwert. Es geht darum, den einen Lauf zu fahren, der dich auf das Siegespodest bringt. Aber natürlich ist das Feeling insgesamt ein anderes, denn auch als Läufer spürst du, ob dich tausende Fans anfeuern oder ein paar Betreuer. In Erinnerung werden einem daher andere Rennen mehr bleiben.

Wenn man jetzt an Adelboden oder Wengen zurückdenkt: Die ersten Rennen vor tausenden Fans seit praktisch zwei Jahren. Fährt es sich da anders?
Sykora: Wir haben es sogar in Val d’Isere schon genossen, dass hier relativ viele Zuschauer vor Ort waren – auch wenn wir in Adelboden oder Wengen nochmals von ganz anderen Dimensionen reden. Aber das Feeling und die Spannung sind vor allem vor dem Rennen ganz anders – das ist ein riesiger Unterschied. Auch für die Läufer. Natürlich wissen die, dass es um Weltcupsiege, -punkte oder die Olympiaqualifikation geht. Aber es gibt Stimmungstypen, die brauchen die Fans. Je mehr Leute, desto mehr können sie aus sich rauskitzeln.

Wie war es bei Ihnen als aktiver Rennläufer?
Sykora: Ähnlich. Auch ich habe es geliebt, vor vielen Zuschauern zu fahren. Als Sportler genießt du es, von den Fans gefeiert zu werden. Zudem peitscht dich das Publikum noch mehr an, gerade wenn du unter Erwartungs- oder Qualidruck stehst. Natürlich gibt es aber auch die anderen Typen. Die genießen die „Stille“. Die Herangehensweise an das Rennen selbst ist bei allen Sportlern aber sicher immer die gleiche.

Vor der Pandemie war das Drumherum gerade bei so Klassikern wie Kitzbühel ja beinahe schon wichtiger als das Rennen selbst. Kann es nicht auch sein, dass gerade darum der Sport wieder mehr in den Mittelpunkt rückt?
Sykora: Ich glaube, man sollte daraus lernen. Das Drumherum gehört auch aus wirtschaftlichen Gründen dazu. Der Weltcup lebt wie jeder Sport auch von Sponsoren. Jetzt ist es ein Überlebenskampf, der auf Dauer so nicht durchzuhalten sein wird. Aber man sollte dennoch darüber nachdenken, ob man im Sinne der Regenerationsmöglichkeit und damit der Sicherheit des Sportlers auch in normalen Jahren nicht auf den einen oder anderen Termin verzichten kann.

Was sagen Sie zu Marcel Hirscher als Vorläufer auf der Streif? Hätte Sie das selbst jemals gereizt?
Sykora: Ganz ehrlich, ich habe einmal kurz geliebäugelt, als Kamerafahrer die Streif runterzufahren. Damals als Armin Assinger aufgehört hat. Es hätte mich schon ein wenig gereizt, allerdings wäre ich sicher viel aufrechter unterwegs gewesen. Zum Glück ist Hans Knauss zur Stelle gewesen. Vor Marcel Hirscher kann man sich nur verneigen. Er ist ein Ausnahmekönner, unglaublich guter Skifahrer und überlässt nichts dem Zufall. Er hat sich akribisch auf diese Fahrten vorbereitet. Und es war nicht zuletzt auch marketingtechnisch genial.

Wenn Sie auf den Weltcup bei den Herren und Damen blicken, wer sind für Sie aktuell die größten Überraschungen?
Sykora: Die größte Überraschung ist Marco Odermatt. Er ist aktuell der Überflieger, der auch in den nächsten Jahren im Gesamtweltcup nur sehr schwer zu schlagen sein wird. Persönlich freue ich mich sehr über die starke Rückkehr von Aleksander Aamodt Kilde. Überraschend ist, dass Clément Noel, der sicher den schnellsten Slalomschwung derzeit fährt, sich durch den einen Fehler in Madonna so aus der Bahn werfen ließ. Im Gegenzug kommt Henrik Kristoffersen immer besser in Fahrt.

Der Gedanke an Olympia beginnt in der Vorbereitung. Der Ehrgeiz ist sicher höher. Thomas Sykora

Und die Österreicher? Bisher eher enttäuschend oder den Erwartungen entsprechend?
Sykora: Eher Zweiteres. Ich habe auch zu Saisonbeginn nicht von einem Formtief der Slalommannschaft reden wollen. Da hat es einfach noch nicht so gepasst. Im Skifahren ist nichts selbstverständlich. Das zeigt sich bei Marco Schwarz, Katharina Liensberger oder auch Kathi Gallhuber. Die Konstanz ist nicht zu 100 Prozent da. Und wie schnell es in die andere Richtung gehen kann, zeigt das Tief von Stephanie Venier.

Oft wurde zuletzt über die Pistenpräparation diskutiert. Sie sind jetzt seit über 20 Jahren im Weltcupzirkus dabei. Wie ist Ihre Meinung zu den aktuellen Pisten?
Sykora: Zagreb war eine Enttäuschung, aber weniger von der Piste als von der langwierigen Entscheidungsfindung. Da standen sportpolitische Interessen scheinbar über den Interessen der Athleten. Aber Zagreb hat gezeigt, dass der Klimawandel am Skizirkus nicht spurlos vorübergeht.

Wir stehen wenige Tage vor den Olympischen Spielen. Ist das Thema Olympia im Sportlerlager schon die gesamte Saison spürbar?
Sykora: Der Gedanke an Olympia beginnt in der Vorbereitung. Da ist der Trainingsehrgeiz sicher höher. Natürlich steigert sich das, je näher der Event kommt. Beim Rennen denkt man aber erst wieder daran, wenn es um die Qualifikation geht. Und das kann dann durchaus auch hemmend sein.

Was erwarten Sie von den Olympischen Spielen in Peking? Wie groß ist die Freude auf die „Geisterspiele 2022“?
Sykora: Grundsätzlich hat Olympia natürlich seinen Reiz und einen hohen Stellenwert. Ich bin seit Lillehammer 1994 bei allen Spielen dabei. Zwei Mal als Aktiver, seit Salt Lake City 2002 als ORF-Kommentator. Aber ganz ehrlich, das sind die Spiele, auf die ich mich bislang am wenigsten freue.

Spukt Corona durch die Köpfe?
Sykora: Natürlich. Auch wenn es anders ist als bei den Sportlern. Die fürchten, das Rennen nicht fahren zu können. Wir, nicht rechtzeitig heimfliegen zu können und länger in Quarantäne eingesperrt zu sein. Denn auch so dürfen wir nur zu unseren Einsätzen das Hotel verlassen. Das werden lange 13 Tage.

Wo sehen Sie im alpinen Bereich die größten rot-weiß-roten Medaillenchancen?
Sykora: Beim Herren-Abfahrtsteam rechne ich mit zwei Medaillen, auch im Slalom ist eine Medaille möglich, nur muss alles aufgehen. Im Riesentorlauf hat vermutlich nur Manuel Feller Außenseiterchancen. Bei den Damen fahren wir um Medaillen mit. Ein Sieg wäre aber eine Überraschung. Einzig bei Kathi Liensberger könnte Olympia zur richtigen Zeit kommen. Sie hatte jetzt Zeit, Kraft zu sammeln.

Vor vier Jahren hat Katharina Gallhuber mit zwei Olympia-Medaillen überrascht. Was trauen Sie ihr heuer zu? Und was Katharina Huber?
Sykora: Eine Medaille wäre vielleicht eine noch größere Sensation als vor vier Jahren. Da muss alles passen, vor allem weil im Slalom mit Petra Vlhová und Mikaela Shiffrin zwei Medaillen im Normalfall fix vergeben sind. Aber Kathi hat sich toll zurückgekämpft und gefällt mir technisch heuer viel besser. Katharina Hubers Medaillenchancen sind minimal, aber wer weiß. Wenn alles passt ...

Sie haben 1998 in Nagano die Olympia-Bronzemedaille im Slalom geholt. Was ist so ein Erfolg wert? Beziehungsweise was bedeutet er Ihnen im Vergleich zu den beiden kleinen Slalom-Kristallkugeln oder den beiden Kitzbühel-Siegen?
Sykora: Olympia hat den höchsten Stellenwert, vor allem wenn du mit Leuten sprichst, die kein Interesse am Skisport haben. Die Olympiamedaille beeindruckt. Dennoch, für mich persönlich zählen die beiden Kitzbühel-Siege mehr. Damit sind mehr positive Erinnerungen verbunden. In Nagano war ich der große Favorit, habe nach dem ersten Durchgang geführt, dann viele Fehler gemacht und gerade noch Bronze geholt. Letztendlich ein Erfolg, aber mit bitterem Beigeschmack.

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