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EU-Kommission uneins über Atomkraft

Von WZ-Korrespondent Andreas Lieb

Politik

Kernkraft könne keine Form von grüner Übergangsenergie sein, wenn der Übergang bis ins nächste Jahrhundert dauere, sagt Budgetkommissar Johannes Hahn - und konterkariert damit die Pläne der EU-Kommissionspräsidentin.


Der Kater aus der Silvesternacht dauert immer noch an: Zwei Stunden vor Beginn des neuen Jahres hatte die EU-Kommission unvermittelt ihren Vorschlag zur Taxonomieverordnung veröffentlicht. In diesem werden, weniger überraschend, Atomenergie und Gas mit Einschränkungen als "grüne Investitionsformen" definiert. EU-Budgetkommissar Johannes Hahn hatte sich schon mehrfach gegen diese Klassifizierung ausgesprochen, die freilich nur als Leitfaden für die Investoren zu verstehen ist und nichts mit EU-Förderungen zu tun hat.

Am Dienstag präzisierte Hahn vor Journalisten in Brüssel seine Haltung: "Man muss sich nur Zeitrahmen und Übergangszeit anschauen: Wenn sogar die Planungs- und Genehmigungsphase bis 2045 gehen kann und dann so ein Kraftwerk ja auch noch errichtet und hochgefahren werden muss, sind wir schon im nächsten Jahrhundert." Da sei er der Ansicht, man könne nicht mehr von einer Übergangszeit sprechen.

Kritik aus Expertengruppe

Tags zuvor erst hat eine Expertengruppe, die beratende Funktion für die Kommission hat, die Pläne ebenfalls kritisiert. Konkret geht es um die Auflagen, unter denen Investitionen in Gaskraftwerke als klimafreundlich gelten sollen. Die Kommission schlägt vor, neue Gaskraftwerke bis 2030 als "grün" zu kennzeichnen, wenn sie Emissionen von insgesamt bis zu 550 Gramm Kohlenstoffdioxid (CO2) pro Kilowattstunde haben. Die Experten fordern, den Grenzwert auf 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde zu senken - der neutrale Grenzwert, der für alle anderen Technologien gilt. Atomkraft sollte wegen möglicher "signifikanter Schäden" für die Umwelt nicht in die Taxonomie aufgenommen werden, so die Stellungnahme. Die Kommission hatte vorgeschlagen, neue Atomkraftwerke als nachhaltig zu klassifizieren, wenn bis 2050 ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiven Abfalls vorliegt. Die Experten kritisieren jedoch, es sei unklar, wie die vorgeschlagenen Kriterien für Nuklearenergie und Gas überprüft werden sollen.

Vergangene Woche endete die verlängerte Frist für die Länderstellungnahmen, bei denen sich Österreich und einige andere Staaten klar gegen die Pläne ausgesprochen hatten. Das nun vorliegende, rund 50 Seiten starke Expertenpapier soll in die endgültige Fassung - die eigentlich noch diese Woche kommen sollte - einfließen. Hahn hält es für wahrscheinlich, dass doch noch "einige Zeit" vergehen werde. Auf Nachfrage bestätigte der Österreicher, dass er im Kollegium gegebenenfalls gegen Atomkraft und Gas stimmen werde.

Suche nach Eigenmitteln

Im Übrigen zog der Haushaltskommissar eine optimistische Zwischenbilanz. "Die Ausgabe der Green Bonds ist eine Erfolgsgeschichte." Mit Anfang der Woche wurden 37,5 Milliarden Euro erzielt; der Kapitalmarkt reagiere weiterhin positiv. Es sei klar zu sehen, dass die Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds eine substanzielle Maßnahme seien. Hahn: "Vergangenes Jahr hatten wir eine Erholung von mehr als fünf Prozent, heuer werden es mehr als vier Prozent sein."

Kurz vor Jahreswechsel war der Eigenmittelbeschluss angenommen worden, von dem man sich 15 bis 17 Milliarden Euro erhofft. Das umfasst eine Ausweitung des Emissionszertifikathandels auf Gebäude und Transport, eine Digitalsteuer und die neue Grenzabgabe für Mega-Konzerne (Carbon Border Adjustment). Von 2026 bis 2058 muss die EU aber die aufgenommenen Schulden für den Wiederaufbau zurückzahlen: "Wir reden da über 15 oder 16 Milliarden Euro jährlich", stellt Hahn klar.

Über die Verknüpfung von Rechtsstaatlichkeit mit der Auszahlung von EU-Förderungen sagte Hahn, es sei das Gebot der Stunde, so sorgfältig zu arbeiten, um es mit "wasserdichten Fällen" zu tun zu haben - dies wohl in Hinblick auf die Kritik, die Kommission lasse sich bei ihren Schritten gegen Polen und Ungarn zu lange Zeit. Für beide Länder, so Hahn, würden Mitte der Woche die Fristen ablaufen, innerhalb derer sie die im November ausgeschickten Mahnschreiben der Kommission zu beantworten hätten. Noch sei aber nichts eingetroffen.

Hahn befand: "Wir sind immer an einer gütlichen Einigung interessiert, wir werden eine Erinnerung schicken." Und in Vorwegnahme daraus resultierender Fragen: "Das ist keine unendliche Geschichte. Wenn wir gar keine Antwort erhalten, ist das auch eine Antwort." Die Gesamtdauer eines solchen Verfahrens sei klar definiert: Sie erstrecke sich auf sechs bis neun Monate.