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Was bleibt von der Wut?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Kaum eine Krise hat die politische Dynamik auf Dauer verändert. Wird das bei Corona anders sein?


Die Impfpflicht ist besiegelt. Im Nationalrat wird am Donnerstag eine deutliche Mehrheit dafür stimmen; von den 183 Abgeordneten werden ausschließlich die 30 FPÖ-Mandatare geschlossen dagegen stimmen, eine überschaubare Anzahl aus den Reihen von Neos und SPÖ wird wohl ebenfalls sitzenbleiben. Weitaus wichtiger ist aber, ob, und wenn ja, wie dieser gesellschaftliche Konflikt um die Corona-Maßnahmen die Politik in den kommenden Jahren verändert.

Mit Gewissheit lässt sich das erst im Rückblick beantworten. Die Erfahrungen der vergangenen 10, 15 Jahre zeigen, dass nur wenige der als einschneidend empfundenen Entwicklungen die politische Dynamik neu auszurichten vermögen.

Außerhalb der unmittelbar betroffenen Krisenstaaten hat etwa die Finanz- und Schuldenkrise kaum Spuren hinterlassen; die auf Hochtouren laufende Klimadebatte bedeutet zwar Rückenwind für Ökoparteien, aber vielfach prognostizierte Erdrutschsiege sind bisher ausgeblieben; in Österreich sind die Grünen sogar 2017 vorübergehend aus dem Nationalrat geflogen und 2020 aus der Wiener Stadtregierung. Einzig die Migrationskrise 2015/2016 hat der Politik einen anhaltenden Stempel aufgedrückt.

Auch jetzt kommt es, wie damals im Zuge der Migrationskrise, als Reaktion auf die Pandemiebekämpfung zur Gründung neuer und zur Neupositionierung bestehender Parteien quer durch Europa. Entscheidender ist jedoch, ob die durch die Maßnahmen entstandene Polarisierung anhalten wird oder sich auf andere Themen übertragen lässt.

Das Potenzial dazu ist da. Das Thema individueller Freiheitsrechte gegen kollektive Fürsorge lässt sich durch alle Politikbereiche moderner Staatlichkeit deklinieren; das gilt auch für den Quantensprung in der digitalen Erfassung von immer mehr menschlichen und staatlichen Aktivitäten und den darin enthaltenen neuen Möglichkeiten von Analyse, Kontrolle und Überwachung.

Ob aus diesem Potenzial auch tatsächlich eine dauerhafte politische Dynamik erfolgt, wird eher nicht an der inhaltlichen Front entschieden. Verebbt der erdrutschartige Vertrauensverlust einer relevanten Minderheit in die staatstragenden Institutionen nach dem Abflauen der Pandemie, sind die Chancen intakt, dass diese Krise den politischen Wettbewerb nicht grundlegend verändern wird.

Offen ist, ob das eine gute Nachricht wäre. Lektionen grundsätzlicher Art aus der Pandemie gäbe es nämlich zuhauf zu lernen. Auch und ganz besonders für die Parteien sowie ihr eigenes Verhältnis wie Verständnis zu Bürgern und Staat.