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Nur nicht streiten

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Am Beispiel der Impfpflicht zeigt sich, wie schwer sich Parteien mit internem Widerspruch tun.


Die Ratio freier Gesellschaften ist, dass Widerspruch am Ende inhaltlich zu besseren Ergebnissen und strukturell zu stärkeren Institutionen führt. Und zwar immer und grundsätzlich, egal ob in Staaten, Unternehmen, Vereinen oder Familien. Selbst Institutionen, die ansonsten Gehorsam predigen, versuchen, konstruktivem Dissens Platz zu geben, weil . . . siehe oben.

An Widerrede mangelt es in Österreichs Debatten eigentlich nicht. Bloß gelingt es in den seltensten Fällen, auch die damit verbundenen Vorteile zu lukrieren. Die Gründe dafür sind teils systembedingt: Gesetzesvorhaben ignorieren häufiger, als es dem Endergebnis guttut, die konstruktiven Beiträge im Begutachtungsverfahren und im Parlament. Das ist zwar oft unverständlich - warum verweigert eine Regierung etwas, das politisch auf ihr Konto einzahlt? -, entspricht aber dem beabsichtigten Gegensatz von Mehrheit und Minderheit.

Besonders miserabel gehen politische Parteien mit interner Kritik um. Öffentliche Widerrede wird hier allgemein nicht als Asset, sondern als Belastung wahrgenommen. Das zeigt sich aktuell an der Debatte um die Einführung einer Impfpflicht gegen Sars-CoV-2, gegen die es in allen Parteien Widerspruch und teils auch Widerstand gibt.

Dass ausgerechnet die Säulen der modernen Massendemokratie mit konstruktivem Dissens schlecht umgehen können, ist aber nur auf den ersten Blick paradox. Es ist kein Zufall, dass der Lehrsatz, wonach "Parteien, die streiten, nicht gewählt werden", in allen Parteizentralen als eherne Regel gilt. Richtig ist er zudem. Tatsächlich haben politische Bewegungen in der öffentlichen Wahrnehmung zuvorderst die Rolle von Kampforganisationen zur Durchsetzung eines Kanons politischer Vorhaben. Die Erarbeitung der inhaltlichen Positionen gilt als innere Angelegenheit.

Es ist diese Erwartungshaltung der Wähler und Medien, die es Parteien so schwer macht, produktiv mit internem Widerspruch umzugehen, jedenfalls wenn er öffentlich erfolgt. Ein solcher Widerspruch gilt nämlich als sicheres Zeichen, dass in der Partei etwas gravierend schiefläuft. Was oft genug stimmt und sodann eine ganz eigene mediale Dynamik auslöst. Kein Wunder, dass jede Parteiführung darauf allergisch reagiert; es kann sie schließlich den Kopf kosten.

Um das Dilemma pointiert zu formulieren: Öffentliche Debatten um die bestmögliche Lösung gelten als ultimative Weisheit in Demokratien, nur nicht für deren tragende Säulen, die Parteien. Für die gilt Geschlossenheit samt interner Friedhofsruhe als höchste Tugend. Auch weil es die Wähler so wollen. Kein Wunder, dass das viele verwechseln.