Verzweiflung groß

Pfleger: „Jeder 2. Kollege hat bereits gekündigt!“

Familie
18.10.2021 06:00

Drei Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger erzählen in der „Krone“ über ihren Alltag mit zu viel Stress und zu wenig Personal. Auf einer Intensivstation eines Wiener Spitals hat im Vorjahr bereits die Hälfte des Personals gekündigt. Die Gewerkschaft fordert Verbesserungen, denn die Mitarbeiter seien verzweifelt und ausgebrannt.

Um 6.45 Uhr, wenn so mancher noch im Bett liegt oder gerade am Frühstückstisch sitzt, startet der Tag auf vielen Spitalsstationen. Und der wird stressig. Wir haben mit drei teils langjährigen Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegern gesprochen und sie zu ihrem anstrengenden Job befragt.

„Jeder Zweite hat gekündigt“
Dominik Wahry arbeitet seit eineinhalb Jahren auf der Intensivstation eines Wiener Krankenhauses. Unter optimalen Bedingungen versorgt er tagsüber bis zu zwei Patienten, in der Nacht bis zu drei Kranke. Das war aber nur vor der Covid-Pandemie so. „Seit Jahresbeginn hat fast die Hälfte des Intensiv-Personals gekündigt“, erzählt Wahry.

Nicht jeder hält die Belastung aus
Es herrscht also offensichtlich eine hohe Fluktuation. Nicht jeder hält die körperliche und psychische Belastung auf Dauer aus. Auch Wahry hat schon mehrmals überlegt, den Job hinzuschmeißen. „Ich habe in den letzten Jahren das Gefühl bekommen, dass Ausnahmezustände immer mehr zur Regel und zum Alltag werden“, sagt er. Die Pandemie habe diesen Zustand nur verschlimmert.

„Wir haben kein Personal, keine stabilen Dienstpläne“, kritisiert auch Gerald Mjka von der Gewerkschaft vida, laut der derzeit rund 130.000 Personen in der Pflege arbeiten - zu wenig. Österreichweit werden bis 2030 weitere 75.700 Kräfte benötigt.

Einmal Pflege, immer Pflege?
Dennoch ist es schwer, aus dem Pflegeberuf auszusteigen. „Ich kann mich entscheiden zwischen Corona, Pest und Cholera“, sagt Mjka. Entweder Krankenhaus, Pflegeheim oder mobile Pflege. Wer es einmal gelernt hat, bleibt in der Sparte. Obwohl es auslaugt, wie Wahry weiß: „Bei Notfällen blitzschnell zu reagieren und alles im Blick zu haben. Obwohl man bereits alle Hände voll zu tun hat, das ist anstrengend.“ Dafür sei das Team wie eine erweiterte Familie.

2300 Euro brutto Einstiegsgehalt
Die Frage über ein angemessenes Gehalt sieht Wahry zwiespältig. „Für das, was man als Pfleger tun sollte, wären Arbeitspensum und Gehalt fair“, sagt er. Für das, was man als Pfleger allerdings tatsächlich leisten muss, ist es nicht gerecht verteilt und besoldet.

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Meine Kollegen und ich scherzen manchmal, dass wir lieber an der Supermarktkasse arbeiten würden. Und obwohl die Dienste anstrengend sind, liebe ich meinen Beruf.

Martina M., Klinik Landstraße

Viele Patienten, wenig Personal
Aber nicht nur auf den Intensiv- und Covid-Stationen muss Großes geleistet werden. Martina M. arbeitet seit Jahren als Krankenschwester in der Klinik Landstraße. Im Moment auf der Internen Station, einer der härtesten überhaupt - und das nicht erst seit Corona. Viele schwer kranke Patienten und wenig Personal. Auf die Frage, ob sie den Job schon einmal hinwerfen wollte, lacht sie: „Wenn der Dienst besonders hart war, kommen schon Zweifel, aber grundsätzlich arbeite ich gern mit Menschen.“ Obwohl man oft zwölf Stunden lang von Patient zu Patient hetzt.

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Stress gehört in unserem Arbeitsalltag einfach mit dazu. Manchmal kommt alles auf einmal zusammen. Dennoch kann ich mir keinen anderen Beruf für mich vorstellen.

Renate S. arbeitet auf der Diabetes-Tagesambulanz in der Klinik Landstraße.

Nur bedingt ruhiger hat es Renate S. in der Diabetes-Tagesambulanz, wo sie mit zwei Kolleginnen bis zu zwölf Stunden im Einsatz ist. „Wenn plötzlich viele Leute auf einmal etwas wollen, kommt man schon ins Schwitzen“, sagt sie. Aber das gehöre im Krankenhaus einfach dazu. „Dennoch könnte ich mir keinen anderen Beruf vorstellen“, sagt sie.

Was ist der Regierung die Pflege eigentlich wert?
Gerald Mjka ist Vorsitzender des Fachbereichs Gesundheit der Gewerkschaft vida und Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger und erzählt im Interview, welche Änderungen im Pflegeberuf unbedingt erforderlich sind, um Personal zu halten.

„Krone“: Herr Mjka, wie ist die Stimmung in der Sparte?
Gerald Mjka: Wir haben kein Personal, keine stabilen Dienstpläne. Die Mitarbeiter sind ausgebrannt. Ich höre jeden Tag immense Verzweiflung. Was muss passieren, damit die Regierung endlich handelt? Braucht es einen Streik oder Massenkündigungen?

Was fordern Sie von der Regierung?
Dass sie endlich aufwacht und für die Menschen da ist. Außerdem würde ich von den Ministerien und dem Kanzler gerne wissen, was ihnen die Pflegekräfte eigentlich wert sind.

Welches Einstiegsgehalt fordert die Gewerkschaft?
Wir fordern ein Einkommen, von dem man auch gut leben kann. Aber was es vor allem braucht, ist mehr Personal, um die seit Jahren hohe Arbeitsbelastung für alle zu verringern. Es braucht unbedingt klare gesetzliche Vorgaben diesbezüglich.

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