Zum Hauptinhalt springen

Wie der Ausbau von Ganztagschulplätzen geschrumpft wurde

Von Martina Madner

Politik

Die 1,2 Milliarden Euro in den Chat-Protokollen zwischen Sebastian Kurz und Thomas Schmid wurden nicht "aufgehalten" - aber verringert.


Es ist eine Chatpassage in einem der beiden insgesamt 490 Seiten umfassenden Berichte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die nicht strafrechtlich relevant ist. Sie dient nur zur Untermauerung eines "vertrauten Austausches" zwischen dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz und dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid, die "Wiener Zeitung" berichtete. Trotzdem sorgte sie für Aufsehen.

Konkret geht es um eine Nachricht Schmids Ende Juni 2016, er berichtete von "Mega Sprengstoff": "Ziel 1,2 Mrd für Nachmittagsbetreuung mit Rechtsanspruch". Kurz antwortete: "Gar nicht gut!!! Wie kannst du das aufhalten?" Darauf Schmid: "Ich terrorisiere Mahrer (heute WKÖ-Präsident, damals Staatssekretär im von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner geführten Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium, Anm.) und Kaszanits (ein Mitarbeiter im Kabinett Mitterlehners)". Und Kurz: "Bitte. Kann ich ein Bundesland aufhetzen?" Kurz und Schmid wollten offenbar den Verhandlungserfolg zwischen SPÖ-Kanzler Christian Kern und Mitterlehner verhindern. Aber gelang das?

Verkleinerung im SPÖ-ÖVP-Ministerrat

Offenbar ja. Denn in einer "legendären" Ministerratssitzung zum Ausbau der Ganztagsschulen noch vor dem Sommer 2016 soll sich laut Kern und Zitaten in der Talkshow "Bussi Fussi" Folgendes zugetragen haben: Wolfgang Sobotka, damals Innenminister, und Kurz seien während der Sitzung "herumgesprungen", hätten damit argumentiert, dass man den Kindern die Eltern wegnehme. Kurz sei im Kontakt mit dem damaligen niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll gewesen. Das Ergebnis: Aus der geplanten Milliarde Euro für den Ganztagsschulausbau, für den die damalige SPÖ-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid zuständig war, und den vor allem für Bildungsforschung reservierten 200 Millionen Euro für Mahrer wurden insgesamt 750 Millionen Euro.

Diese wurden dann in einem Bildungsinnovationsgesetz gegen Ende 2016 im Parlament verabschiedet. Wie man im Bundesgesetzblatt zum Bildungsinvestitionsgesetz von 2017 nachlesen kann, sollten damals "750 Millionen Euro aus der Einmalzahlung insbesondere für den Ausbau von ganztägigen Schul- und Betreuungsangeboten zur Verfügung gestellt werden" und zwar in den Jahren 2017 bis 2025. In den "Richtlinien für die Gewährung von Zweckzuschüssen" ist auf Grundlage von 108.522 Schulplätzen mit Nachmittagsunterricht oder -betreuung, also einer Versorgung von 20 Prozent, für 2018/19 eine Erhöhung auf 142.505 Plätze, also 25 Prozent, geplant gewesen. Zielwert im Schuljahr 2024/25 waren 40 Prozent, also 225.206. Das Geld war als Anschubfinanzierung für neue Gebäude und zusätzliches Personal in Ganztagsschulen gedacht. Für neue Hortplätze gab es ein enges pädagogisches Korsett als Fördervoraussetzung. Die laufende Finanzierung sollte aber auch der Bund über eine 15a-Finanzierung tragen.

Nochmalige Halbierung unter türkis-blau Regierung

Schon im Herbst 2017 war das SPÖ-ÖVP-Vorhaben mit den Neuwahlen und anschließender türkis-blauer Regierung Geschichte. Heinz Faßmann, der für die ÖVP als Bildungs- und Wissenschaftsminister das Ressort übernahm, gestaltete ein neues, das aktuelle Bildungsinvestitionsgesetz. Gravierende Änderung: Die Mittel wurden auf 428 Millionen Euro beinahe halbiert, der Zeitraum aber bis 2033 ausgedehnt. Wären laut SPÖ-ÖVP-Plan noch durchschnittlich 83 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestanden, sind es nun nur noch 30 Millionen Euro.

Aber nicht nur das: In den neuen Richtlinien ist als Ziel nur mehr "Tagesbetreuung" für 40 Prozent der Kinder im Pflichtschulalter angegeben. Karoline Mitterer vom KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung erläutert, dass nunmehr Plätze in Ganztagsschulen, Horten und auch Tageseltern gezählt werden. Ein Viertel der "Anschubfinanzierung" müssen nicht mehr als solche verwendet werden, sondern könne auch in den laufenden Betrieb fließen. Das Ergebnis der neuen Zählweise: 22 Prozent der Pflichtschulkinder sind in schulischer Tagesbetreuung, weitere acht Prozent in außerschulischer. Das ursprüngliche Ziel von 40 Prozent kann wohl nicht mehr erreicht werden.