Die ÖVP führt seit Jahrzehnten das Landwirtschaftsministerium. Was haben Sie da versäumt, dass Sie den Handelsketten jetzt „erpresserische Zustände“ vorwerfen müssen?
ELISABETH KÖSTINGER: Wenn Sie mein Engagement für gerechte Preis verfolgen, werden Sie sehen, dass da schon viele Jahre der Wille für eine Veränderung im Sinne der Bäuerinnen und Bauern besteht. Die Handelsketten nutzen gern das positive Bild der bäuerlichen Produktion, die wir in Österreich haben, für ihre Werbebotschaften. In Preisverhandlungen sind sie dann beinhart. Verhandlungen über Milchpreise wegen drei Cent wochenlang nicht abzuschließen, halte ich moralisch für verwerflich. Ich finde, man sollte über das System des Monopols, das die Konzerne haben, reden dürfen.

Ist es klug, den Unternehmen das mit so deftigen Worten auszurichten?
Gesprächsrunden und Lippenbekenntnisse kenne ich zur Genüge. Wir haben von freiwilligen Selbstverpflichtungen, dass unlautere Geschäftspraktiken nicht mehr stattfinden, bis zu einem Bekenntnis zu österreichischen Produkten alles erlebt. Es kommen immer neue Auflagen, mehr Umwelt- und Klimaschutz und auf der anderen Seite schlägt der Preishammer unerbittlich zu – das geht sich für die Bauern nicht mehr aus. Auch wenn der Konsument mehr zahlt, kommt das bei den Bauern nicht an. Da ist ein Systemfehler in der Wertschöpfungskette. Das ist kein österreichisches Problem, damit kämpfen wir in ganz Europa. Da sind es halt etwas mehr Handelsketten, die sich den Markt für die gesamte EU aufteilen. In Österreich haben wir die größte Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel.

Statt „Nebelgranaten“ zu werfen, wie die SPÖ kritisiert, könnten Sie endlich die EU-weite Richtlinie zum Schutz der kleinen Betriebe umsetzen.
Wir befinden uns in der fachlichen und politischen Endabstimmung mit dem zuständigen Wirtschaftsministerium und dem Koalitionspartner. Damit wäre der Weg frei für eine weisungsfreie Ombudsstelle.

Aber wo bleiben Ihre konkreten Maßnahmen gegen Preisdruck?
Das Wettbewerbsrecht ist schon streng, Sprichwort Preisabsprachen. Ich will da auch an die moralische Verantwortung appellieren. Die Alternative zur bäuerlichen Produktion ist industrielle Produktion. Dann stehen auch bei uns Ställe mit 1500 Milchkühen, die zu Preisen produzieren können, die zurzeit die Handelsketten zahlen.

Wie geht es Ihnen als frühere Umweltministerin, wenn in Ihrer Partei in Bezug auf Klimaschutzmaßnahmen als „Weg zurück in die Steinzeit“ die Rede ist?
Wir sehen die große Chance im Umbau unseres Wirtschaftssystems, in neuen Technologien, und nicht in Verboten. Ideologisch haben wir und die Grünen natürlich unterschiedliche Zugänge. Eine ökologische Steuerreform darf nicht zu Lasten der Menschen im ländlichen Raum gehen. Die haben keine U-Bahn vor der Tür, die sie im Drei-Minuten-Intervall zur Arbeit bringt.

Köstinger erwartet sich eine baldige Einigung auf eine ökosoziale Steuerreform
Köstinger erwartet sich eine baldige Einigung auf eine ökosoziale Steuerreform © Markus Traussnig

Sie haben Regeln für den Tourismuswinter präsentiert. Wären strengere Vorgaben nicht vernünftiger als ein Stufenplan? Sogar manche Hoteliers plädieren für 2 G.
Ich will auf jeden Fall, dass die heurige Wintersaison stattfindet. Apres Ski wird de facto gleichbehandelt wie die Nachtgastronomie. Advent- und Weihnachtsmärkte werden auch unter den 3G-Regeln stattfinden können. Die Stufen hängen von der Situation auf den Intensivstationen ab, das ist der wichtigste Faktor.

Gäste müssen die 3-G-Regel befolgen, Mitarbeiter nicht. Ist das nicht absurd?
Die Impfquote im Tourismus liegt bei 72 Prozent und ist deutlich höher als in der Durchschnittsbevölkerung. Wir arbeiten auch gerade mit dem Gesundheitsminister daran, eine geeignete Lösung für ungeimpfte Mitarbeiter zustande zu bringen – das geht in Richtung regelmäßige PCR-Tests und FFP2-Masken.

Wann kommt die 3-G-Regel am Arbeitsplatz?
Ich halte das für sehr sinnvoll. Die Sozialpartner werden eine gute, geeignete Lösung finden.

Geht es in Richtung Impfpflicht?
Die freie Entscheidung der Menschen muss über allem stehen. Aber wenn wir Probleme im Gesundheitssystem und bei Intensivbetten bekommen, dann müssen wir reagieren und ungeimpfte Personen schützen. Wir wollen maximale Freiheit für Geimpfte. Ich sehe nicht ein, warum die gesamte Bevölkerung in Geiselhaft einer Pandemie bleiben sollen, wenn es über die Impfung eine Lösung gibt.

Der Bundeskanzler hat vor einigen Monaten die Pandemie für beendet erklärt. War das ein Fehler?
Wir hatten zu den Öffnungen im Mai eine sensationell gute Ausgangslage. Was uns seit damals geblieben ist, ist die 3-G-Regel. Jetzt müssen wir speziell für Ungeimpfte wieder Vorkehrungen treffen. Aber die Lösung liegt mit der Impfung am Tisch.

Kennen Sie sich bei all den Coronaregeln, die derzeit gelten, selbst überhaupt noch aus?
Ja. Und das wichtigste ist Impfen gehen. 90 Prozent der Menschen, die nach einer Infektion eine Behandlung brauchen, sind ungeimpft. Die Menschen haben zum Teil irrationale Ängste vor der Impfung, das ist auch dem Auftreten der FPÖ geschuldet. Diese Partei treibt einen Keil in die Gesellschaft, einige ihrer Spitzenpolitiker lassen sich aber selbst trotzdem impfen. Man kann da von einer geimpften Heimatpartei sprechen.

Wien setzt auch jetzt auf schärfere Regeln. Warum rücken Sie immer wieder mit Kritik an der Wiener Stadtregierung aus?
Wenn der Bürgermeister von Wien die Bundesregierung kritisiert, muss man das nicht immer alles auf sich sitzen lassen, weil es auch, wie bei der FPÖ, parteipolitisch motiviert ist. Da wird es wohl auch erlaubt sein, den Bürgermeister drauf hinzuweisen, dass er selbst eine Verantwortung hat, wenn es um die Impfquote geht. Wien hatte den ganzen Sommer über verschärfte Maßnahmen, das war auch gut so, und trotzdem hat Wien eine höhere Intensivbettenbelegung als andere Bundesländer.