Gastkommentar

Ein neuer ORF? Leider nein

Peter Kufner
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Das ORF-Gesetz muss geändert werden, fordert Nikolaus Forgó in seinem Gastkommentar. Leider fehlt dazu der politische Wille. Gerade vor der Bestellung einer ORF-Führung ist die Regierung mit der Abhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ganz zufrieden. Die widerspricht aber dem Geist der österreichischen Bundesverfassung.

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Wenn ein deutscher Jurist „grundsätzlich“ sagt, dann hat eine Sache auch so zu sein – nämlich „dem Grundsatz nach“.
Wenn ein österreichischer Jurist „grundsätzlich“ sagt, dann sollte es zwar auch so sein. Aber das genaue Gegenteil davon wird augenzwinkernd akzeptiert.

Mehr zum ORF im Podcast:

Am 10. August wird ein neuer ORF-Chef oder eine Chefin bestellt. Im „Presse"-Podcast kommen die vier aussichtsreichsten Kandidaten im Interview zu Wort und reden über ihre Pläne für den öffentlich-rechtlichen Medientanker und politische Einflussnahmen. In Folge eins: Lisa Totzauer und Thomas Prantner.


In diesem österreichischen Sinn ist der ORF „grundsätzlich“ unabhängig von der Politik. Wer aber auf den Chefsessel des wichtigsten Medienunternehmens des Landes steigen will, kann gar nicht anders, als sich mit den politischen Parteien – vorzugsweise denen, die in der österreichischen Bundesregierung sitzen – zu arrangieren. Sonst ist eine Mehrheit im ORF-Stiftungsrat nämlich so gut wie nicht zu erreichen.
Rechtsprofessor Nikolaus Forgó ruft in seinem Debattenbeitrag in der „Presse“ vom 31. Juli zu einer Diskussion über das ORF-Gesetz auf. Selbst für juristische Laien lässt sich ein klarer Widerspruch zwischen dem Bundesverfassungsgesetz zur Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks aus dem Jahr 1974 und der seither gelebten Praxis feststellen.

Einfluss durch die Hintertür

Das ORF-Gesetz sieht diese Unabhängigkeit zwar „grundsätzlich“ vor. Eine ganze Reihe von Bestimmungen sichert dann aber doch den Einfluss der politischen Parteien auf die ORF-Organe durch die Hintertür:

Da ist die Beschickung des Stiftungsrates, des obersten Aufsichtsgremiums im ORF, der am 10. August den Generaldirektor oder die Generaldirektorin bestellen wird. Das Primat der Parteipolitik bei der Auswahl der Stiftungsräte und -rätinnen und ihrer Qualifikation hat Professor Forgó treffend dargestellt.
Was aber ist so schlimm daran, wenn die (Regierungs-)Parteien einen so massiven Einfluss auf die Personalauswahl im ORF haben? Schließlich sind sie ja demokratisch gewählt und vom Volk legitimiert, es zu vertreten.

Das Problem ist das massive Eigeninteresse der Parteien beim größten Medienunternehmen des Landes: ihr dringender Wunsch, dass möglichst viel und positiv über sie berichtet wird. Und das will die Politik über die Auswahl des Führungspersonals im ORF sicherstellen. Der ORF soll zwar laut Verfassung „public watchdog“ sein, unabhängig und kritisch über die österreichischen Parteien und ihre Politik berichten. Doch viele in der Politik wünschen sich statt eines „public watchdog“ ein zahnloses Schoßhündchen. Kritische Berichterstattung soll es, wenn schon, am ehesten über die Konkurrenz geben.

Um zu verhindern, dass die öffentlich-rechtlichen Programme zum „Staatsfunk“ werden, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht 2014 entschieden, dass der Anteil der Politiker in den ZDF-Gremien auf maximal ein Drittel beschränkt werden muss. Die restlichen Mitglieder müssen „staatsfern“ und parteiunabhängig besetzt werden.

Im ORF-Aufsichtsgremium – damals Kuratorium genannt – waren bis zum Jahr 2001 Politikerinnen und Politiker noch selbst vertreten, etwa die Klubobleute der Parlamentsparteien. Die Regierung Schüssel I hat das ORF-Gesetz unter dem Schlagwort „Entparteipolitisierung“ reformiert. Seither dürfen keine Mandatare und Parteiangestellten mehr in den ORF-Gremien sitzen. Klingt gut, trotzdem lassen sich 32 der 35 Mitglieder direkt oder indirekt einer Partei zuordnen, die meisten von ihnen organisiert in parteipolitischen „Freundeskreisen“. Erstmals hat eine Partei – die ÖVP – genügend Stimmen, um de facto im Alleingang das Management im ORF zu bestimmen, und das ganz ohne eine absolute Mehrheit im Parlament.

Kanzler sucht persönlich aus

Der Beschickungsmodus für den Stiftungsrat garantiert die Bevorzugung der Regierungsparteien. Und für den Publikumsrat – das zweite Aufsichtsgremium im ORF, das die Interessen des Publikums vertreten soll – sucht der Bundeskanzler persönlich 17 der 30 Mitglieder aus. Da war es auch kein Zufall, dass unter der schwarz-blauen Regierung von den sechs Mitgliedern, die der Publikumsrat in den mächtigeren Stiftungsrat entsendet, drei der ÖVP und drei der FPÖ zugerechnet werden.

Das „Anhörungsrecht“ der Landeshauptleute bei der Bestellung von Direktoren der Landesstudios stellt sicher, dass der ORF-Generaldirektor oder die Generaldirektorin kaum jemanden vorschlagen wird, der nicht den Wünschen der Landespolitik entspricht. Zu wichtig sind die Stimmen der neun Landesstiftungsräte bei der GD-Wahl.

Stiftungsräte sind – laut ORF-Gesetz – unabhängig und weisungsfrei in ihren Entscheidungen. Trotzdem können sie abberufen und ersetzt werden, wenn sich in den vier Jahren ihrer Funktionsperiode die Zusammensetzung der Bundesregierung oder einer Landesregierung ändert. Auch hier geht es um die Sicherung des politischen Einflusses auf den ORF.

Keine geheime Abstimmung

Aber trotz allem traut der Gesetzgeber den Stiftungsräten offenbar nicht so ganz und lässt sie daher nicht geheim über die Bewerber für die Generaldirektion abstimmen. Da wird in offener Sitzung mit Handzeichen gewählt und protokolliert, wer für welchen Bewerber votiert. Wohl auch, um Abweichler bei den Vorgaben der „Freundeskreise“ sanktionieren zu können.

Das alles sind Bestimmungen im ORF-Gesetz, die dem Geist des Verfassungsgesetzes über die politische Unabhängigkeit des Rundfunks grundsätzlich (im deutschen Sinne!) widersprechen.
Die parteipolitische Zusammensetzung des Stiftungsrates lässt Zweifel aufkommen, ob es bei der Bestellung der nächsten ORF-Führung wirklich vor allem darum geht, die besten Köpfe für das nächste ORF-Management zu finden. Oder ob nicht Parteitaktik und der Wunsch des Bundeskanzlers die wichtigeren Wahlmotive für zahlreiche Mitglieder des Stiftungsrates sind.

Kritischer Qualitätsjournalismus – für den wir Journalistinnen und Journalisten im ORF kämpfen – dürfte jedenfalls nicht ganz oben auf dem Wunschzettel der Politik an den ORF stehen.
Der Vorsitzende des – zumindest laut Gesetz – unabhängigen und weisungsfreien Stiftungsrates ist übrigens seit 2018 (eingesetzt unter Schwarz-Blau) der ehemalige Vizekanzler und FPÖ-Parteichef Norbert Steger. Er wurde von der FPÖ ins oberste ORF-Aufsichtsgremium entsandt. Sein Ziel in dieser Funktion formulierte er 2019 gegenüber dem „Standard“ so: „Man will wenigstens von denen gelobt werden, die einen geschickt haben.“

„Staatsferne“ ist das nicht

So viel zum Amtsverständnis und der „grundsätzlichen“ Unabhängigkeit der Personen und Organe im ORF. Und dem politischen Willen, daran nichts zu ändern. Aber vielleicht findet sich ja einmal eine politische Konstellation, die ein modernes ORF-Gesetz beschließt. Inklusive echter politischer Unabhängigkeit. „Staatsferne“ heißt das in Deutschland.
Und zwar grundsätzlich. Und nicht augenzwinkernd.

Der Autor

Dieter Bornemann, M.A. (* 1967) ist Vorsitzender des ORF-Redakteursrates, stellvertretender Leiter der „ZiB“-Wirtschaftsredaktion und Moderator des Wirtschaftsmagazins „Eco“. Er hat Internationales Medieninnovationsmanagement studiert und lehrt an der Universität Wien TV-Journalismus. Bornemann wurde kürzlich mit dem Concordia-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet.

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E-Mails an: debatte@diepresse.com

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