Was dürfen Ungeimpfte?

„Kleine Gruppe terrorisiert Rest der Gesellschaft“

Österreich
30.07.2021 16:25

Virologen sind sich einig: Wer sich nicht impfen lässt, der wird sich früher oder später mit dem Coronavirus anstecken. Immer stärker steht auch eine Impfpflicht, zumindest in manchen Bereichen, ernsthaft zur Diskussion. Knapp 60 Prozent der Menschen in Österreich wären für eine Impfpflicht in Gesundheits- und Pflegeberufen. Aber auch nur dort: 70 Prozent sind gegen eine generelle Impfpflicht. Was machen wir mit der lauten Minderheit, die sich nicht impfen lassen will? Das besprechen Prof. Ursula Köller von der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt und Prof. Ulrich Körtner vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien diese Woche bei „Moment Mal“ mit Damita Pressl.

Die Impfung schützt in den allermeisten Fällen vor schweren Covid-19-Verläufen, vor einer Hospitalisierung, vor der Intensivstation oder dem Tod. Geimpfte können sich aber weiterhin mit Corona anstecken oder das Virus weitergeben, wenn auch die Wahrscheinlichkeit dafür deutlich geringer ist als bei Ungeimpften. Es handelt sich also nicht um eine sogenannte sterile Immunität, erklärt Ursula Köller. „Das würde bedeuten, dass ich die Infektion als Geimpfte nicht bekommen kann.“ Sicher sei aber, dass die Viruslast bei Geimpften deutlich geringer ist.

„Land der Impfmuffel“
Die Impfung funktioniert also. Aber warum stagnieren dann die Impfzahlen? „Das hängt auch davon ab, wie generell die Einstellung zu Impfungen in einem Land ist. Österreich ist leider Gottes ein Land der Impfmuffel“, so Köller. Bei uns funktionieren gerade einmal Kinderimpfungen, solange sie im Mutter-Kind-Pass enthalten sind. Dabei sind sie so wichtig: „Impfungen sind die großartigste Public-Health-Maßnahme, die es je gab“, sagt die Medizinerin. Unsere hohe Lebenserwartung sei vor allem darauf zurückzuführen, dass es die Todesfälle durch Infektionskrankheiten in der Kindheit nicht mehr gibt.

Impfpflicht privat oder vom Staat?
Ob eine Impfpflicht also helfen würde? „Wir haben viel zu wenig gesicherte Daten“, beklagt Ulrich Körtner, wie viele andere Experten. „Aber wir haben Indizien. In Frankreich hat Präsident Macron eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe angekündigt. Man hat gesehen, als diese Ankündigung kam, ist die Zahl der Impfungen unter Angehörigen von Gesundheitsberufen in den darauffolgenden Tagen signifikant angestiegen.“ Zudem gebe es ja bereits gewisse Verpflichtungen: „Die Politik scheut das Wort ‚Impfpflicht‘ wie der Teufel das Weihwasser, aber im privatrechtlichen Bereich haben wir das durchaus.“ Große Arbeitgeber wie Google verlangen die Impfung inzwischen von ihren Mitarbeitern. Auch Fluggesellschaften und Hotels haben die Option, ihre Angebote nur Geimpften zur Verfügung zu stellen. „Wir haben schon längst Impfpflichten durch Arbeitgeber. Wir diskutieren im Moment immer nur über mögliche staatliche Vorgaben. Wir blenden aber aus, dass wir das sonst dem privaten Bereich überlassen“, so Körtner. „Die Frage ist daher: Soll die Politik sich damit begnügen, dass nur im privatrechtlichen Bereich Impfpflichten bestehen, oder gibt es Gründe für eine staatlich verordnete Impfpflicht?“

Die gibt es zumindest in manchen Bereichen für die beiden Experten ganz klar: So verlangt etwa die Bioethikkommission eine Impfpflicht im gesundheitlichen Bereich, und zwar von staatlicher Seite. „Wenn das Träger machen, dann könnte das Personal zu einem anderen Träger wechseln, deswegen wäre eine generelle Impfpflicht in dem Bereich wichtig“, sagt Köller. Das Nicht-Umsetzen einer Impfpflicht, so Köller, führe im Betreuungsbereich auch zu einer „Geiselhaft“ für Bewohner: „Wie kommen alte Menschen dazu, dass sie ihre letzten Jahre unter Haftbedingungen verbringen, nur weil sich das Personal nicht impfen lässt?“ Wer sich in solchen Berufen nicht impfen lassen will, „der hat seinen Beruf verfehlt“, sagt Körtner, „so hart das klingt“.

Aber entsteht nun eine Welt, wo Ungeimpfte am Ende nur noch einkaufen und in öffentliche Verkehrsmittel dürfen? „Wenn wir ein bisschen Pech haben, treibt uns genau die Gruppe wieder in einen Lockdown, wo dann ganz Österreich nur in die Öffis und in den Supermarkt darf“, sagt Köller. Und Körtner ergänzt: „Kleine Gruppen terrorisieren den Rest der Gesellschaft. Dann werde ich als Geimpfter am Ende wieder in meinen Grundrechten eingeschränkt, weil eine hartgesottene Minderheit keinen Gemeinschaftssinn hat.“ Er fordert mehr Mut von der Politik: Das Thema „auf die privatrechtliche Ebene zu verschieben“, sei feig. „Man kann ja auch nicht fragen: ‚Wieso zwingt man mich, einen Führerschein zu machen? Ich will einfach so Auto fahren.‘“ Der Staat stelle also auch in anderen Bereichen Bedingungen für den Zugang zu gewissen Gesellschaftsbereichen.

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