Der Ratschlag kam von ganz oben. „Ironie funktioniert nie in der Politik“, sagte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Eigentlich billigte ein Parteitag am Wochenende seine neue grün-schwarze Koalition. Nur sprach niemand darüber. Die Delegierten beantragten zugleich den Ausschluss von Boris Palmer, seit 2007 Grünen-OB der Stadt Tübingen. Der Vorwurf: Rassismus.

Palmer, 48, galt lange als Kretschmanns Kronprinz in Baden-Württemberg. Damit ist es schon länger vorbei. Der studierte Mathematiker gilt als unkalkulierbar. Das eine Mal rechnete er mit der Flüchtlingspolitik Angela Merkels ab, das andere Mal mit der Corona Strategie. Den Streit scheut Palmer selten. Im jüngsten Fall freilich ging es in der Tat um Ironie. Schwierig auf Sozialen Medien. Zumal bei Palmer.

Der Fall ist verworren. Der Reihe nach: Ex-Nationaltorhüter Sven Lehmann wurde vorige Woche bei Bundesligist Hertha BSC als Aufsichtsrat entbunden. Er hatte den Ex-Nationalspieler und TV-Experten Dennis Aogo rassistisch beleidigt. Tags darauf ließ Aogo seine Arbeit beim Sender „Sky“ ruhen. Er hatte im TV erklärt, Manchester City trainiere „bis zur V…“. Entschuldigungen nutzten wenig. Aus für beide. Im Nachklang waren von Aogo wiederum Zitate kolportiert worden, die einerseits rassistisch, andererseits nicht jugendfrei waren und sich auf sekundäre Geschlechtsmerkmale bezogen.

Die Revolution frisst ihre Kinder

Palmer ironisierte den Vorfall, setzte sich für den afrodeutschen Ex-Kicker Aogo ein, benutzte aber auch das inkriminierte - Aogo zugeschriebene - N-Wort. Eine Provokation zu viel. Selbst Grünen-Chefin Annalena Baerbock wandte sich ab. Die Grünen fürchten im Wahlkampf eine Rassismus-Debatte. „Vermasselt Palmer Baerbock das Kanzleramt?“, fragte das Boulevardblatt „Bild“.

Und Palmer? Verweist auf seinen jüdischen Großvater und auf seinen Vater, der als „Remstal-Rebell“ schon vor den Grünen für die Umwelt kämpfte.  „Er war 18 Monate im Gefängnis, weil er Nazis Nazis nannte. Ich kann Ächtung und Existenzvernichtung wegen angeblich falscher Wortwahl nie akzeptieren“, sagt Palmer über seine Lehren aus der
Geschichte.

Das dürfte den Störenfried kaum retten. Zu viel steht für die Grünen bei
der Bundestagswahl auf dem Spiel. Palmer hat oft als Egomane gehandelt, nun aber eine Schwelle überschritten. Er hat Richtiges gesagt. Aber mit falschen Worten. Das ist wohl zu viel. Die grüne Revolution entlässt ihre ersten Kinder.