Biologie

Sie können auch mehr als 150 Freunde haben – oder viel weniger

So kleine Gruppen halten zusammen. Aber wo hört sich das Lachen auf?
So kleine Gruppen halten zusammen. Aber wo hört sich das Lachen auf?imago images / Mint Images
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Nach der populären Theorie der „Dunbar-Zahl“ gibt es ein genetisch fixiertes Limit für stabile Sozialkontakte. Alles Unsinn, wie Forscher nun zeigen.

Wie viele soziale Beziehungen kann ein Mensch aufrechterhalten? So, dass er den Namen von jedem in dieser Gruppe kennt und weiß, wie sie zueinander stehen? Oder griffiger: Bei wie vielen Personen bin ich nicht peinlich berührt, wenn er oder sie mich auf einen Drink einlädt, weil wir uns zufällig in einer Bar treffen? Bei maximal 150, behauptete der britische Anthropologe Robin Dunbar im Jahr 1992. Wie kam er auf gerade diese Zahl?

Dunbar verglich die Größe des Neokortex bei verschiedenen Arten von Primaten mit der mittleren Größe ihrer Horde. Das Verhältnis übertrug er auf den Menschen und kam so auf 148, was er auf 150 aufrundete. Danach mühte er sich, das Ergebnis empirisch zu untermauern: Ob Stämme von Jägern und Sammlern, neolithische Bauerndörfer oder Einheiten in Armeen – immer sei bei 150 Schluss.

Neue Rechnnung, neues Ergebnis

Die „Dunbar-Zahl“ wurde ungemein populär. Optimale Firmengrößen hat man daraus abgeleitet, die Programmierer sozialer Netzwerke orientieren sich daran, Großraumbüros werden entsprechend designt. Dabei ließen sich die Ergebnisse nur teilweise replizieren. Bald kamen Einwände auf: Ignoriert diese Theorie nicht völlig das kumulative Lernen, den kulturellen Fortschritt, den es nur unter Menschen gibt, nicht aber unter Affen? Nun hoffen schwedische Forscher um Patrik Lindenfors, dass sie Dunbars taumelnder Zahl den Todesstoß versetzen können (Biology Letters, 4. 5.).

Sie haben aus aktualisierten Daten zu den Hirngrößen die Korrelationen nach zwei verbesserten statistischen Methoden berechnet. Auf beiden Wegen kommt man zu deutlich niedrigeren Werten als 150. Vor allem aber ist das Konfidenzintervall extrem breit: Der wahre Wert liegt für 95 Prozent aller Stichproben zwischen zwei und 520 Personen. „Das ist nicht sehr erhellend“, schreiben die Autoren so trocken wie treffend. Mit Dunbars Ansatz lässt sich also fast alles „beweisen“: Wir sind zwangsläufig Eremiten. Oder aber Partylöwen. Die Lehre daraus? Die dogmatische Mode, alles in die Gene hinein und wieder aus ihnen heraus zu deuteln, war doch etwas überzogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2021)

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