Morgenglosse

Proteste in Russland: Machtlos auf der Straße

Ein Bild von der Demonstration in St. Petersburg.
Ein Bild von der Demonstration in St. Petersburg.REUTERS
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Die Demonstrationen für Nawalnys Freilassung sind überaus mutig. Doch ein Wendepunkt sind sie nicht. Unbequeme Fragen warten auf Nawalnys Team.

In Russland gehen mutige Menschen für Alexej Nawalny auf die Straße. Es begann mit Demonstrationen gegen seine Verhaftung bei der Rückkehr nach Russland im Jänner. Es ging weiter mit spontanen Aktionen nach seiner Verurteilung Anfang Februar. Am Mittwochabend demonstrierten abermals Zehntausende im ganzen Land gegen die unmenschlichen Haftbedingungen, denen er ausgesetzt ist. Wenn man Nawalnys Anhängern Glauben schenkt, dann geht es dem Politiker sehr, sehr schlecht. Den Kreml scheint der mögliche Tod des Oppositionärs nicht abzuschrecken. Was das Nevengift Nowitschok nicht leistete, könnte nun elendiges, jahrelanges Siechtum in der Strafkolonie erledigen. Der russische Staat kennt in der Causa Nawalny keine Gnade.

So mutig die Bürger sind, die sich diesem Unrecht entgegenstellen, so unterlegen sind sie derzeit gegen die Maschinerie des Staates. In Moskau zählten unabhängige Beobachter gestern zwischen 10.000 und 15.000 Teilnehmer - weniger als noch im Jänner. Nawalny kann seine furchtlosen Anhänger mobilisieren, aber der Rückhalt anderer gesellschaftlicher Gruppen fehlt ihm. Ganz gleich, ob Angst, Desinteresse oder Erschöpfung dahinter stehen: Die Demonstrationen sind kein Wendepunkt. Gestern fand nicht die angekündigte „letzte Schlacht“ statt.

Nawalny hat viele Jahre lang die Lücken und Fehler im System Putin meisterhaft ausgenützt, um aller Repression zum Trotz Politik zu machen. Nun aber ist er krank im Straflager und seinen Anhängern drohen ebenfalls hohe Haftstrafen wegen der erwarteten Einstufung seiner Organisation als „extremistisch“. Putins System lässt keine Alternativen zu. So bald wird sich das nicht ändern.

Es gibt ein paar unangenehme Fragen, die sich Nawalnys Team stellen sollte. Ist es womöglich an der Zeit, an eine Strategieänderung zu denken? Auf einen moderateren Kurs umzuschwenken? Sich eine Ruhepause zu gönnen? Wer jetzt in Russland weiterkämpft, der ist entweder ein gerissener Irrer – oder ein kopfloser Held.

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