Selbst gesetzte Ziele haben mitunter den Nimbus von Hausnummern, das macht ernsthafte Entscheidungsprozesse schwierig. Bei den Klimazielen, die sich die EU-Länder gesetzt haben, ist das nicht anders. Klimaneutral bis 2050 – warum nicht schon 2048 oder erst 2053? Und der Weg dorthin: Ursprünglich wollte man bis zum Ende dieses Jahrzehnts einen CO2-Rückgang von 40 Prozent erreichen, dann kam der „Green Deal“ und die Rede war zunächst von minus 50 Prozent, danach kamen minus 55 Prozent.

Kommission und Rat waren damit zufrieden, das EU-Parlament nicht.

Die Parlamentsposition pendelte sich bei minus 60 Prozent ein. Eine weitere Hausnummer? Vielleicht, aber die Volksvertreter, allen voran die Grünen, versuchten, die Ernsthaftigkeit des Anliegens auf den Punkt zu bringen: Unser Planet ist ernsthaft in Gefahr und es ist fraglich, ob er noch gerettet werden kann. Durch einen faulen Kompromiss wohl nicht.

Nun haben wir ihn, den Kompromiss – grundsätzlich jene Formel, auf die alle EU-Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Rat, Kommission und Parlament zurückgeführt werden können.

Minus 55 Prozent (herausgerechnet minus 52,8 Prozent) sind mehr als anfangs gedacht und weniger, als nötig wäre. Die Pariser Klimaziele sind so nicht zu erreichen, warnen die Grünen.

Aber die Einigung ist ein gutes Signal – die Richtung stimmt. Bei allen Bemühungen, die Klimaziele zu erreichen, darf Europa nicht den Blick aufs Machbare verlieren. Zu groß ist der Spannungsbogen, in dem wir uns zwischen Kohleländern wie Polen, Atomnationen wie Frankreich oder Autoländern wie Deutschland befinden. Klimaziele kann man in diesem Konglomerat, das durch die Pandemie noch an Sprengkraft gewonnen hat, nur durch gemeinsame Schritte erreichen, die – wie auch immer – von allen verkraftbar sind. Die wirtschaftlichen Corona-Folgen sind enorm, und selbst die besten Entwicklungen im Rahmen des Green Deal passieren nicht übers Wochenende. Der stärkste Wirtschaftsstandort weltweit muss sich mitten in der schwersten Krise des Jahrhunderts neu ausrichten. Chance und Gefahr zugleich.

Die Frage wird nicht dadurch entschieden, ob wir in diesem Jahrzehnt 55 oder 60 Prozent schaffen, sondern ob die EU volle Kraft voraus auf Kurs bleibt. Nichts hindert uns daran, die heute selbst gesetzten Ziele zu übertreffen, wenn es morgen zu schaffen ist.