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Orientierung gesucht

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Die Kirche sucht selbst nach den richtigen Wegen - im Umgang mit Missbrauch und mit den eigenen Gläubigen.


Mit der Karwoche bricht der Höhepunkt der Passionszeit vor dem Auferstehungsfest zu Ostern im kirchlichen Kalenderjahr an. Grund für Schmerz und Leid haben die Gläubigen zur Genüge. Dass dafür einmal nicht vorrangig die Pandemie verantwortlich ist, ist bezeichnend. Zwar hoffen die Kirchen, dass sie kein weiteres Osterfest ohne Gläubige feiern müssen, doch die Amtsträger der katholischen Kirche sorgen für mindestens so viel Unruhe.

In Köln erschüttern Ausmaße und beschämende Aufarbeitung eines Missbrauchsskandals mit 202 Beschuldigten und rund 300 Opfern zwischen 1975 und 2018 nicht nur die größte Diözese im deutschsprachigen Raum, sondern auch die Kirche weit darüber hinaus. Vertuschung und vernachlässigte Verantwortung sorgen für gleich mehrere Rücktritte von hohen Amtsträgern.

Seit Jahrzehnten gelingt es der Kirche - aber längst nicht allein ihr - nicht, bei Missbrauch und Gewalt mit der notwendigen Transparenz und Konsequenz gegen die Verfehlungen in ihren eigenen Reihen und unter ihrem Deckmantel vorzugehen, die vergangenen Fälle aufzuarbeiten und gegen fortbestehenden Missbrauch anzukämpfen. Wie lange wohl will die Kirche noch die Axt an die eigene Glaubwürdigkeit anlegen, weil sie immer wieder glaubt, durch Taktieren den Schaden minimieren zu können - und das oft auf Kosten der Opfer?

Ambivalenter ist das Njet der vatikanischen Glaubenskongregation zur Segnung homosexueller Paare. Da erscheint es nur auf den ersten Blick als Widerspruch, dass Papst Franziskus selbst eine Stärkung der zivilen Rechte homosexueller Partnerschaften fordert: "Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben. Sie sind Kinder Gottes und haben das Recht auf eine Familie", sagt das Oberhaupt der Katholiken. Für die Kirche gibt es aber eben einen kategorischen Unterschied zwischen der Ehe vor Gott und dem Zusammenleben aus dem Blickwinkel des Zivilrechts.

Gegen die Entscheidung des Vatikans macht sich Widerstand breit, auch in und vor den Kirchen. Doch diese Frage kann und muss die Kirche mit sich selbst ausstreiten. Das gilt auch für die Folgen, die sich aus solchen Entscheidungen ergeben.

Möglich, dass die Epoche der Volkskirchen sich dem Ende zuneigt. Möglich auch, dass diese eines Tages wiederkehrt. Das hat die Kirche selbst in der Hand. Beim Umgang mit Missbrauch muss sich die Kirche ihrer Verantwortung nicht nur vor Gott, sondern auch hier auf Erden stellen - gegenüber den Opfern, den Tätern und in ihrer Rolle als moralische Instanz.