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Suche nach Patentrezept

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Sollen Patente auf Covid-Impfstoffe ausgesetzt werden?


1955 fragte der US-Journalist Edward R. Murrow den Immunologen Jonas Salk, wer denn das Patent auf das Vakzin gegen Polio besitze. Murrows Antwort: "Ich würde sagen, die Menschheit. Es gibt kein Patent. Kann man etwa die Sonne patentieren?" Ähnlich sah das der Virologe Albert Sabin, der die Schluckimpfung entwickelte. Er sagte, es sei unmoralisch, Medizin zu verkaufen, als wäre sie eine Ware.

Beide waren damals der Auffassung, der Kampf gegen Krankheitserreger sei eine Aufgabe von Staat und Gesellschaft und nicht vordringlich eine der Pharmaindustrie.

In Genf wird bei einer Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) derzeit über genau diese Frage verhandelt. Denn mehr als 100 Länder wollen während der Pandemie Patente aussetzen, damit Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika Impfstoffe herstellen können. Staaten mit bedeutenden Pharmaindustriestandorten blockieren.

Die neue WTO-Chefin, die aus Nigeria stammende Ngozi Okonjo-Iweala, kritisierte zuletzt Exportkontrollen und Regierungen, die im Gerangel um noch mehr Impfdosen die Preise in die Höhe trieben. Vor der Sitzung des zuständigen Trips-Rats (Trade-related Aspects of Intellectual Property - handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum) forderte sie die Hersteller auf, die Fabrikation in Entwicklungsländern anzukurbeln.

Dabei sind Patente nur eines von mehreren Hindernissen. In der gesamten Lieferkette gibt es Produktknappheit und Beschaffungsschwierigkeiten. Zuletzt klagte der CEO des größten Impfstoffherstellers der Welt über Exportbeschränkungen von Produktkomponenten aus den USA, die die Produktion des AstraZeneca-Impfstoffs in Indien behindern würden.

NGOs wie Ärzte ohne Grenzen, Attac oder die Plattform "Anders handeln" fordern WTO und Regierungen auf, den Patentschutz für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Sie haben gute Argumente: Erst wenn alle Menschen rasch geimpft sind, endet die Pandemie. Zudem ist die öffentliche Hand der Hauptsponsor jener universitären Grundlagenforschung, die die Entwicklung von Hi-Tech-Impfstoffen erst möglich macht. Gleichzeitig bauen Pioniere wie BioNTech, Moderna oder CureVac darauf, ihre horrenden Entwicklungskosten über Patentlizenzen wieder hereinzuspielen. Fallen diese aus, müsste der Staat die Forschung zur Gänze finanzieren. Und die Pharmaindustrie kontert, es seien ohnehin alle relevanten Hersteller bereits mit Lizenzen in die Produktion eingebunden.

Die Suche nach einem Patentrezept ist also alles andere als einfach. Aber klar ist: In Sachen öffentlicher Gesundheit muss die Rollenverteilung zwischen Staat und Pharmaindustrie neu austariert werden.