Eine Toilette für 140 Menschen: So schlimm ist die Lage auf Lesbos

GREECE-EUROPE-MIGRATION
Ein Bundesheer-Biologe war einer der wenigen Österreicher im Flüchtlingscamp. Dem KURIER schildert er die Lage vor Ort.

Oberstleutnant Rupert Bliem war im November als Teil eines verlegbaren WHO-Labors im griechischen Flüchtlingslager Kara Tepe. Dort testete er mit seinem Team vier Wochen lang bis zu 100 Personen pro Tag auf das Coronavirus. Dem KURIER gab er einen durchaus kritischen Einblick.

KURIER: Als „unmenschlich“ bezeichnet die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ die Situation auf Lesbos. Zelte sollen bei widrigen Witterungsbedingungen im Schlamm versinken. Können Sie das bestätigen?

Rupert Bliem: Nur ein kleiner Teil des Lagers steht auf Schotter, zuletzt schüttete es. Man versucht, sich mit Paletten zu helfen, aber die Menschen sitzen im Gatsch. Noch dazu liegt das Lager direkt am Meer und damit stark im Wind. Der Vorteil der Exponiertheit ist aber die erhöhte Sicherheit. Alleinstehende Frauen sind besser abgegrenzt als in Moria.

Kritisiert wird auch die nicht adäquate Wasserversorgung.

Pro Flüchtling stehen täglich 40 bis 50 Liter Wasser zur Verfügung – allerdings nur Kaltwasser. Es wird immer kälter, jetzt braucht es also dringend Warmwasser und Heizelemente. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet. Es gibt tolle kleine NGOs, die dafür sorgen, dass zumindest Frauen und Kinder ungestört duschen können. Die anderen Duschen im Lager sind komplett ohne Sichtschutz.

Eine Toilette für 140 Menschen: So schlimm ist die Lage auf Lesbos

Rupert Bliem testete auf Lesbos sieben Tage pro Woche ohne Pause.

Wie ist es allgemein um die Hygiene bestellt? Berichten zufolge werden Kinder von Ratten gebissen?

Mehr als 7.000 Menschen leben auf engem Raum. Es gibt ein Überangebot an Essen, dass Ungeziefer angelockt wird, ist kaum zu verhindern. Ich möchte noch einmal die freiwilligen Helfer hervorheben, die ihr Möglichstes tun, um Müll zu entsorgen, die Toiletten zu entleeren und zu desinfizieren. Ich kann nicht genau sagen, wie es jetzt in Kara Tepe ist, aber in Moria sollen sich bis zu 140 Menschen ein Klo geteilt haben. Klar ist, niemand möchte dort auch nur einen Tag länger verbringen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der mangelnde Schutz der Flüchtlinge vor dem Coronavirus. Wie sehen die Vorkehrungen im Lager aus?

Die Menschen im Lager müssen eine Maske tragen. Außerdem gibt es mehrere Handdesinfektionsspots. Nach einem positiven Vortest werden Betroffene abgesondert. Wenn dieser Vortest sich durch einen PCR-Test bestätigt, müssen sie in Quarantäne. Und zwar solange, bis ein negatives PCR-Ergebnis bei wiederholter Testung vorliegt.

Haben die Flüchtlinge, die ohnehin schon großem Stress ausgesetzt sind, Angst vor einer Infektion mit Covid-19?

Gerüchten zufolge war die Angst vor Corona ein Grund für den vorsätzlich gelegten Brand in Moria. Uns war also nicht klar, wie wir als Tester aufgenommen werden. Es stellte sich aber rasch heraus, dass wir durch schnelle Befunderstellung einen Beitrag leisten. Dementsprechend positiv war das Feedback der Flüchtlinge.

Haben Sie Unruhen miterlebt?

Ja, diese waren in der Regel darauf zurückzuführen, dass Menschen das Lager für den täglichen Einkauf verlassen wollten. Wegen Covid-19 gibt es aber Ausgangsbeschränkungen. In Moria konnten sich die Flüchtlinge freier bewegen als hier. Sie haben etwa selbst Brot gebacken, sich einen kleinen Marktplatz eingerichtet und improvisierte Moscheen gebaut. Im Ersatzlager ist das so nicht möglich.

Übernahme in EU-Länder
12 der 27 EU-Länder haben sich bereit erklärt, Migranten von den griechischen Inseln zu übernehmen. Österreich ist nicht dabei. In Summe gab es Zusagen für 1.537 unbegleitete Minderjährige. Laut der internationalen Organisation für Migration (IOM) sind bisher heuer nur 553 Aufnahmen erfolgt.  Deutschland hielt als einziges Land seine Zusage: Statt 203 wurden 211 Minderjährige aufgenommen.  Portugal und Frankreich versprachen, je 500 Kinder aufzunehmen – tatsächlich waren es nur 72 bzw. 131; die Niederlande, Slowenien und Kroatien haben noch gar keine Minderjährigen aufgenommen  

Asylwesen in Österreich
Das Innenministerium hebt hervor, 
dass Österreich im Asylwesen für Minderjährige die Liste der EU-Länder anführt
 – nicht in absoluten Zahlen, aber in Relation: Von 2015 bis 2020 hat Österreich pro 100.000 Einwohner 544 Asylwerbern unter 18 Jahren Schutz gewährt (Deutschland: 515, Schweden: 508)

Hilfsleistungen
Nach dem Brand in Moria hat Österreich eine Million Euro über den Auslandskatastrophenfonds und ein Hilfspaket mit 400 voll ausgestatteten Familienzelten geschickt

„Reporter ohne Grenzen“ schreibt von einer Informationssperre, Helfern soll der Zutritt verweigert worden sein. Wird Lesbos zur „Blackbox“?

Viele der NGOs wollen helfen, bieten aber ähnliche Leistungen an. Deshalb werden einige davon nicht in Anspruch genommen. Dass Medien ausgesperrt werden, kann ich so nicht bestätigen. In meiner Zeit im Lager war etwa ein ZDF-Team vor Ort. Entscheidend ist da die rechtzeitige Anmeldung. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Griechenland etwas geheimhalten will.

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