Forschung

Komplexität ist „wild und chaotisch“

Die Dynamik komplexer Systeme wird mit mathematischen Methoden erklärt.
Die Dynamik komplexer Systeme wird mit mathematischen Methoden erklärt.Getty Images/iStockphoto
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Die Dynamik komplexer Systeme wird mit mathematischen Methoden erklärt. Dazu ist das Interesse für Zahlen und Netzwerke Grundvoraussetzung.

Vom Klimawandel bis zum Wahlbetrug, vom Lawinenabgang bis zur Ausbreitung der Pandemie – es sind verschiedenste Themenfelder, in denen sich mit Komplexitätsforschung hilfreiche Erkenntnisse gewinnen lassen. „Das ist deshalb der Fall, weil es bei der Komplexitätsforschung ganz allgemein um Netzwerke geht. Diese findet man in vielen Bereichen“, sagt Stefan Thurner, Professor für die Wissenschaft Komplexer Systeme an der Medizinuniversität Wien und Leiter des von ihm ins Leben gerufenen Complexity Science Hub Vienna (CSH). In diesem weiten Feld geht die Komplexitätsforschung mithilfe von mathematischen Methoden und Big Data der Frage auf den Grund, wie die verschiedenen Bauteile der jeweiligen Systeme zusammenhängen und was sich daraus ablesen lässt, erklärt Thurner.

Von Informatik bis Medizin

Da es komplexe Systeme in vielen Bereichen gebe, könne man sich diesem Forschungsgebiet, laut Thurner, auch von verschiedenen Seiten her annähern – von der Medizin, der Biologie, der Chemie, der Physik oder der Mathematik und Informatik. „Komplexitätsforschung ist interdisziplinär“, sagt auch Guido Strunk, geschäftsführender Gesellschafter der Complexity Research. Dazulernen müssen Interessierte in jedem Fall: So müssen sich Mathematiker beziehungsweise Informatiker Fachwissen über die jeweiligen Systeme aneignen, um diese zu verstehen. „Nur über Mathematik Bescheid zu wissen reicht nicht“, weiß Thurner.

Alle anderen wiederum müssten das entsprechende mathematische Wissen aufbauen. Angst vor Zahlen und Algebra sollte man daher keinesfalls haben, heißt es unisono. Schließlich müsse man dem Computer sagen, wie er nach Mustern suchen solle und was aus Daten herausgelesen werden könne. Doch nicht alles, was sich mit der Auswertung riesiger Datenmengen beschäftigt, ist komplex, Knackpunkt ist das Vorhandensein von Netzwerken beziehungsweise Systemen. „Versicherungsmathematik ist nicht komplex, weil es keine Netzwerke gibt. Moderne Seuchenausbreitungsmodelle beschäftigen sich hingegen mit Systemen und sind daher komplex“, beschreibt Thurner, der vor Kurzem neuerlich zum Forscher des Jahres gekürt wurde.

Von Ordnung verabschieden

Vom Gedanken der Ordnung sollten sich angehende Komplexitätsforscher ebenfalls verabschieden, ist Komplexität laut Thurner doch „wild und chaotisch“. Strunk ergänzt: „Monokulturen und der One-Best-Way sind das Gegenteil von Komplexitätsforschung. Sie ist der Anstoß, um flexibel zu sein und neue Wege zu gehen.“

Beide Experten registrieren derzeit ein steigendes Interesse am Thema. Ein eigenes Universitätsstudium „Komplexitätsforschung“ gibt es hierzulande allerdings noch nicht. „Die Angebote, es zu studieren und sich ausbilden zu lassen, sind erst im Werden“, sagt Strunk. Wer komplexen Systemen auf die Spur kommen will, muss somit Lehrpläne genau studieren. Einschlägige Lehrveranstaltungen gibt es beispielsweise für Studierende der Studienrichtungen Informatik, Angewandte Informatik und Technische Informatik an der TU Wien.

Auch beim Masterstudium Mathematics an der Uni Klagenfurt, beim Masterstudium Integriertes Risikomanagement an der FH Campus Wien sowie beim Masterstudium Medizinische Informatik der Medizinischen Universität Wien ist Komplexitätsforschung ein Thema. An der Med-Uni Wien gibt es darüber hinaus das Doktoratsstudium Medical Informatics, Biostatistics and Complex Systems.

Studien im Ausland und online

Mehr Angebote dazu gibt es bereits im Ausland. „In Spanien, England und den USA gibt es eigene Kurse zur Komplexitätsforschung“, berichten die beiden Experten. Auch das Santa Fe Institute (SFI) in New Mexiko, das bereits 1984 gegründet wurde, um in interdisziplinärer Grundlagenforschung eine Theorie komplexer adaptiver Systeme in Physik, Biologie, Technik und Sozialwissenschaften zu erarbeiten, bietet eine Reihe von Programmen an, um Interessierten komplexe Systeme näherzubringen. Das Angebot an Ausbildungen reicht von der seit rund 30 Jahren angebotenen Complex Systems Summer School über das zehn Wochen dauernde Undergraduate Complexity Research Program bis zu offenen Onlinekursen wie „Intro to Complexity“ und „Intro to Dynamical Systems and Chaos“.

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