Interview

Karoline Edtstadler: „Wollen eine Einigung mit London, aber nicht um jeden Preis“

Europaministerin Karoline Edtstadler.
Europaministerin Karoline Edtstadler. (c) Michèle Pauty
  • Drucken

Europaministerin Edtstadler zu den Spannungen in der EU, ihrer Kritik an Polen und Ungarn sowie ihrem Wunsch nach Einberufung einer Zukunftskonferenz.

Die Presse: Die EU erlebt die dritte Krise in kurzer Folge. Nach der Finanz- und Migrationskrise nun die Coronakrise. Hat sich die Union in dieser letzten Krise bewährt?

Karoline Edtstadler: Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass am Beginn der Coronakrise seitens der Europäischen Union zuerst gar nichts zu hören war, und dann die Initiativen, wie etwa die gemeinsame Beschaffung, nicht funktioniert haben. Dann allerdings ist in den Mitgliedstaaten das Bewusstsein gereift, dass wir diese Krise nur gemeinsam überstehen können. Es hat sich eine Solidarität gegenüber jenen entwickelt, die am härtesten betroffen sind. Nach fünf Tagen und vier Nächten Verhandlung wurde im Juli das größte EU-Budget aller Zeiten und ein Wiederaufbaufonds beschlossen. Die wirklich großen Errungenschaften sind die Investitionen in Digitalisierung und den Klimaschutz, Forschung und Entwicklung – insbesondere in einen Impfstoff – sowie die nun von der EU-Kommission in Angriff genommene gemeinsame Beschaffung dieser 1,8 Milliarden Impfdosen. Das wäre nicht einzelstaatlich gelungen. Hier zeigt sich, dass es Chancen gibt, dass die EU in solchen Situationen zusammenhält.


Das große Budget und der Fonds werden allerdings nach wie vor von Ungarn und Polen blockiert. Haben Sie dafür Verständnis?

Nein. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür. Es geht darum, Solidarität zu zeigen. Wir haben uns in Österreich auch nicht über alles gefreut, was im Juli beschlossen wurde, und werden weiterhin gegen eine permanente Schuldenunion eintreten. Wir haben uns nicht in allen Punkten durchgesetzt, das ist bei einem Kompromiss so. Aber wir haben es letztlich mitgetragen, zumal wir mit 565 Mio. Euro einen so hohen Rabatt bekommen wie noch nie zuvor. Und das erwarte ich nun auch von diesen beiden Regierungen. Beide sind große Profiteure des Wiederaufbaufonds. Es geht nicht, dass wegen einer anderen Debatte – nämlich des Rechtsstaatsmechanismus – eine Blockadehaltung an den Tag gelegt wird. Es tut mir als Juristin in der Seele weh, dass wir diskutieren müssen, ob und wie auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geschaut wird. Denn das ist einer unserer Grundwerte neben Demokratie und Menschenrechten in der EU. Wenn wir da keine Einigung finden, mache ich mir große Sorgen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bei Johnsons Ankunft in der EU-Kommission trat von der Leyen mit ihm für Fotos vor die Kameras. Beide nahmen kurz die Masken ab, bevor sie nach wenigen Sekunden hinter einer Türe verschwanden.
Brexit-Deal

Ursula von der Leyens Feuerprobe

Diese Woche entscheidet sich in den Brexit- und Rechtsstaatskrisen, ob die Kommissionspräsidentin ihre Kritiker Lügen straft und politische Führungsstärke beweist. Das Brexit-Dinner mit Boris Johnson brachte keinen Durchbruch.
Die britische Wirtschaftsministerin Liz Truss hat den Deal mit Kanada ausverhandelt und unterzeichnet.
Brexit

Großbritannien und Kanada unterschreiben Handelsvertrag

Wirtschaftsministerin Truss freut sich inmitten der entscheidenden Verhandlungen mit der EU über den Vertrag mit Kanada. "Handel im Wert von 20 Milliarden Pfund gesichert.“
Auf dem Weg zu einer Einigung? Der britische Premier Boris Johnson wird diese Woche in Brüssel erwartet.
Brexit

Boris Johnson bekommt sein Finale in Brüssel

Auf Kulanz darf der britische Premier bei seinem Treffen mit Kommissionschefin von der Leyen nicht hoffen. Berlin und Paris machen vorab klar, dass die EU sich nicht spalten lässt.
Boris Johnson.
Brexit

"Nicht ausgeschlossen, dass es mit einem Knall endet"

Vor dem heutigen Abendessen zwischen EU-Chefin van der Leyen und Boris Johson rückt eine Expertin das Bild vom britischen Premier zurecht. Das Last-Minute-Drama habe er immer eingeplant, es laufe alles nach seinem Geschmack.
BRITAIN-EU-POLITICS-BREXIT
Brexit

Verhandlungen um Brexit-Handelspakt: London geht Kompromiss ein

Die britische Regierung hat die umstrittenen Klauseln aus dem Binnenmarkt-Gesetz zurückgezogen. Der Gesetzesentwurf hatte bei der EU und darüber hinaus für Empörung gesorgt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.