Eine erhöhte Gefahr islamistischer Terroranschläge hat das Innenministerium bereits vor dem Anschlag in der Wiener Innenstadt vom 2. November konstatiert. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 2019 hervor, den das Ressort entgegen den bisherigen Usancen still und heimlich auf seiner Internetseite veröffentlicht hat. Der islamistische Extremismus stellte für Österreich, wie auch für andere Staaten, "eine anhaltende und erhöhte Bedrohung dar", heißt es in dem Bericht.

"Die Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen durch radikalisierte Einzeltäter oder autonom agierende Kleinstgruppen und Zellen, die Anschläge ohne direkten Auftrag bzw. Anleitung einer terroristischen Organisation ausführen, bleibt in Europa sehr wahrscheinlich weiterhin erhöht", schreibt das Innenministerium und prophezeit: "Attraktivität und Anziehungskraft islamistischer Ideologien, insbesondere mit salafistisch-jihadistischer Prägung, werden auf nicht absehbare Zeit ungebrochen bleiben."

Der 2018 erkennbare rückläufige Trend in Hinblick auf die Häufigkeit islamistischer Anschläge, setzte sich im vergangenen Jahr fort: Europaweit - auch in Österreich - ereignete sich 2019 kein größerer islamistisch motivierter Terroranschlag. "Dennoch stellen jihadistisch inspirierte Anschlagsplanungen unverändert und in absehbarer Zeit eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen für Europa und Österreich dar" - was sich vor dreieinhalb Wochen in Wien blutig bestätigen sollte.

Strategische Überlegungen bei Anschlagszielen

Und auch auf das in Wien gewählte Anschlagziel nimmt der Verfassungsschutzbericht 2019 bereits Bezug: Die Anschläge zielen in der Regel darauf ab, "größtmöglichen Personen- und Sachschaden zu verursachen. In einschlägigen Medien bzw. Foren wird dementsprechend immer wieder auch zu Anschlägen auf stark frequentierten Plätzen aufgerufen." Bei der Auswahl der Anschlagziele spielen "strategische und praktische Überlegungen eine Rolle". Das potenzielle Zielspektrum islamistischer Terroristen reicht von Objekten der Kritischen Infrastruktur bis zu sogenannten "weichen Zielen".

Ein Bedrohungspotenzial geht "hauptsächlich von radikalisierten Einzelaktivisten und potenziellen Nachahmungstätern aus, die durch die jihadistische Ideologie inspiriert und durch Aufrufe in sozialen Medien motiviert wurden." Auch bei dem Wiener Attentäter dürfte es sich laut derzeitigem Ermittlungsstand um einen Einzeltäter gehandelt habe. "Zudem finden potenzielle Einzeltäter im Internet zahlreiche Anleitungen zur Herstellung von Sprengmitteln und verschiedenen Giften (z.B. Rizin)."

Typologie von Jihadisten

Die Typologie von Jihadisten wird in dem Bericht als heterogen beschrieben. Sie reicht von "gescheiterten Existenzen", die oftmals arbeitslos bzw. beruflich erfolglos waren, mitunter langjährige (klein)kriminelle "Karrieren" hinter sich haben und desillusioniert in radikal-islamische Kreise abgeglitten sind, bis hin zum religiösen oder politischen Fanatiker.

Nach dem "Höhepunkt" der jihadistischen Reisebewegungen 2014 vor allem in die Kriegsgebiete in Syrien und im Irak ist laut Bericht bereits seit 2015 ein steter Rückgang an Ausreisen aus Österreich festzustellen und auch die Zahl der Rückkehrer ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Ende des Jahres 2019 waren dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) insgesamt 326 aus Österreich stammende Personen bekannt, die sich aktiv am Jihad in Syrien und dem Irak beteiligten oder beteiligen wollten. Davon sind laut unbestätigten Informationen vermutlich 69 Personen in der Region ums Leben gekommen und 93 Personen wieder nach Österreich zurückgekehrt. Weitere 62 konnten an einer Ausreise gehindert werden und halten sich nach wie vor im Bundesgebiet auf. Auch der Wiener Attentäter wollte über die Türkei nach Syrien reisen, ist daran aber gescheitert. 102 Jihad-Reisende dürften sich noch im Kriegsgebiet befunden haben.

Krankenhäuser im Fokus der Täter

Vor dem Hintergrund einer anhaltenden Bedrohung durch terroristische Anschläge, einer steigenden Computerkriminalität sowie einer wachsenden Abhängigkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von funktionierenden Infrastrukturen, gewinnt besonders der Schutz kritischer Infrastruktur (SKI) immer mehr an Bedeutung, stellt der Verfassungsschutzbericht fest. Die Gesundheitsversorgung ist dabei ein wesentlicher Eckpfeiler - dementsprechend zählen neben Pharmazieherstellern, Pharmaziegroßhändlern und Rettungsorganisationen insbesondere Krankenhäuser zur kritischen Infrastruktur.

"Im Fokus der Angreifer stehen immer häufiger auch medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser", warnt der Bericht. Verwiesen wird auf eine Studie eines renommierten internationalen Cyber-Sicherheitsunternehmens, die aufgezeigt hat, dass im Jahr 2018 das Gesundheitswesen derjenige Sektor kritischer Infrastruktur war, der weltweit am häufigsten mit Cyber-Angriffen aller Art konfrontiert war.