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Brexit-Endrunde: No-Deal rückt näher

Von Alexander Eberan

Gastkommentare
Alexander Eberan ist Vorstand des Bankhauses Krentschker & Co. AG.
© Thomas Raggam/www.thomasraggam.com

Die EU fürchtet einen Wettbewerbsvorteil Großbritanniens, das auf die WTO hofft.


Ungeachtet der weltweiten Corona-Krise geht das Tauziehen um den Brexit-Deal zwischen Großbritannien und der EU in die Endrunde. Die zunehmend polarisierenden, ja sogar versteinerten Positionen auf beiden Seiten lassen die Wahrscheinlichkeit für ein Handelsabkommen bis zum Stichtag 31. Dezember 2020 sinken. Knackpunkte der Verhandlungen in den verbleibenden sieben Monaten sind insbesondere die von der EU geforderten Fischereirechte sowie die Zuständigkeit des EuGH in Streitbelegungen. Beides ist für die Briten vermutlich ein No-Go. Dass das Vereinigte Königreich mit der EU künftig Handel zu den Bedingungen der Welthandelsorganisation WTO betreiben wird, ist also so wahrscheinlich wie nie zuvor. Die Chancen auf einen Durchbruch vor allem bei den Fischereiquoten stehen auch beim nächsten EU-Gipfel im Juni schlecht. Denn dort sollen vorrangig das EU-Budget und die Corona-Maßnahmen verhandelt werden.

Großbritannien möchte ein mit neuen Quoten verhandeltes Abkommen über die Fischerei nach dem Modell Norwegens. Die EU, insbesondere Frankreich, strebt jedoch eine mehrjährige Gültigkeit unter Beibehaltung der bisherigen Quoten an. Die EU hat begründete Befürchtungen, dass Großbritannien durch umfangreiche Zugeständnisse im Rahmen eines Freihandelsabkommens rasch zu einer bedeutenden Konkurrenz im globalen Handel wird. Insbesondere eine eigenständige Fiskalpolitik könnte die Attraktivität des britischen Standortes massiv steigern. Auch will die EU zur Vermeidung eines Wettbewerbsvorteils der Briten, dass viele andere Bedingungen wie staatliche Subventionen, Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechte in Großbritannien weiterhin gelten. Und bei Handelsstreitigkeiten soll ein gemeinsames Schiedsgericht, wie mit der Schweiz vorgesehen, zuständig sein. Wird EU-Recht tangiert, wäre dies dann der EuGH.

Ein neues Handelsregime nach WTO-Regeln wird sich aber in Großbritannien in Preissteigerungen insbesondere bei Lebensmitteln, landwirtschaftlichen Gütern, tierischen Erzeugnissen und Autos niederschlagen. Der Inselstaat profitiert derzeit bis Ende 2020 im Rahmen seiner EU-Mitgliedschaft von 40 Freihandelsabkommen mit rund 70 Staaten weltweit. Seit 1. Mai 1995 ist er auch Mitglied der WTO, die allerdings derzeit durch die US-Blockadepolitik nicht beschlussfähig ist. Vorsorglich haben die Briten bereits ein globales Zollregime für die Zeit nach dem 31. Dezember 2020 festgelegt: Die Einfuhrzölle werden für viele Produkte gesenkt, gleichzeitig werden etwa Autoindustrie und Landwirtschaft im Welthandel geschützt. Mit den USA verhandelt Großbritannien aktuell ein Freihandelsabkommen, das aber aufgrund der US-Forderungen, wie etwa einer kompletten Öffnung der Landwirtschaft oder einem vollen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst für US-Pharmahersteller, kaum wirtschaftlichen Nutzen für die Briten generiert. Gleichzeitig trifft auch die Finanzindustrie bereits Vorsorge für eine Post-Brexit-Zeit zu Lasten Londons. Auch die EU wird unter den Folgen leiden, insbesondere die durch "Dieselgate" und Covid-19 enorm betroffene europäische Autoindustrie (minus 78 Prozent im April).