Missbrauchsskandal: US-Pfadfinder wählen fragwürdigen Ausweg

Missbrauchsskandal: US-Pfadfinder wählen fragwürdigen Ausweg
Die "Boy Scouts of America" verfolgen eine Strategie, die bereits katholische Diözesen und Turnvereine in den USA angewandt haben.

Robbie Pierce war seine gesamte Kindheit überzeugter Pfadfinder bei den "Boy Scouts of America". Heute, mit 39 Jahren, ist der Mann aus Los Angeles entschiedener Gegner der Organisation. Nicht er, aber sein Bruder musste 1994 eine schlimme Erfahrung machen. Als mehrere Kinder in einem Camp krank wurden, "untersuchte" und streichelte einer der Pfadfinder-Führer ihre Genitalien – auch die des Bruders – unter dem Vorwand, mögliche "Brüche" zu finden.

Bereits vergangenen April ging aus Unterlagen, die lange geheim gehalten wurden, hervor: Seit 1944 haben mindestens 8.000 Pfadfinder-Führer der Boy Scouts Buben sexuell missbraucht. Pierce sieht ein strukturelles Problem. Die Non-Profit-Organisation würde "Pädophilen Zugang zu Buben zur Verfügung" stellen, meint er in der New York Times.

"Jetzt ist die Zeit dafür"

Es gibt mindestens 2.000 Betroffene, die sich offiziell beschwert haben, im Alter zwischen acht und 93 Jahren. Offiziell beteuern die Boy Scouts, alle Opfer "fair" entschädigen zu wollen. Deshalb hat die Trägergesellschaft am Dienstag Konkurs angemeldet. Heißt: Es wird einen Stichtag geben, bis zu dem sich Kläger melden können. Der kann in 90 Tagen oder in einem Jahr sein. Das Insolvenzverfahren werde den Pfadfindern helfen, die Opfer durch die Einrichtung eines Fonds "angemessen zu entschädigen", argumentieren die Boy Scouts.

Für die Opfer ist nun Eile geboten. Tim Kosnoff hat als Anwalt viele Missbrauchsfälle bei den Boy Scouts betreut. Er vertritt mit anderen Anwälten eine organisierte "Opfer-Gruppe" und schlägt Alarm: Wer jemals über eine Klage nachgedacht habe, "jetzt ist die Zeit dafür". Die Pfadfinder-Organisation verfolgt eine altbekannte Taktik. Bereits Katholische Diözesen und Turnvereine in den USA haben Konkurs angemeldet, als ihnen Prozesse wegen sexuellen Missbrauchs gemacht wurden – um den Schaden so minimal wie möglich zu halten und sich danach neu zu konsolidieren.

Kosnoff kritisiert: Die Boy Scouts – sie bestehen seit 1910 – hätten sich strukturell noch nicht maßgeblich verändert, um künftig Missbrauch zu verhindern. Zudem gäbe es auf der Management-Ebene Personen, die jährlich eine halbe Million Dollar verdienen. Er fände es besser, die Organisation würde sich zur Gänze auflösen und Pfadfinder-Verbänden mit einem besseren Kontrollsystem das Feld überlassen.

Die große Vertuschung

Die Boy Scouts sehen das anders. Sie haben noch immer 2,4 Millionen jugendliche Mitglieder. Damit ist sie die größte Jugendorganisation der USA. Gegründet auf der Basis, patriotische, mutige Buben mit Eigenverantwortung großzuziehen, haben sie ihre Statuten in den vergangenen Jahren dem Zeitgeist angepasst. Seit 2013 dürfen Homosexuelle Pfadfinder, seit 2015 gar Pfadfinder-Führer werden. Und seit 2017 sind auch Mädchen zu den Boy Scouts zugelassen. Es gibt strengere Kontrollen bei der Aufnahme von Personal und Pfadfinder-Führern ist es verboten, Zeit zu zweit mit einem Kind zu verbringen.

Enthüllungen über sexuellen Missbrauch bei den Boy Scouts kamen erstmals 2012 durch ein Gerichtsverfahren ans Licht. Der Organisation wird vorgeworfen, Misshandlungen von Jugendlichen fast ein Jahrhundert über vertuscht zu haben.

Kommentare